Zwei Synagogen in Pilsen
Vor einiger Zeit gab es zum tschechischen Nationalfeiertag die Gelegenheit, die beiden Synagogen Pilsens zu besuchen – zum symbolischen Preis von 28 Kronen. Dazu wurden fachkundige Erläuterungen angeboten. Die kann ich hier nicht wiedergeben, da es stofflich einfach zu viel war und ich eher zufällig und unvorbereitet hinzugekommen bin.
Diese zwei Gotteshäuser stehen für verschiedene Epochen, was sich allein schon durch ihren jeweiligen Beitrag zum Stadtbild ausdrückt: Während die Alte Synagoge unauffällig hinter gewöhnlichen Wohnhäusern verborgen liegt, nimmt die Große Synagoge einen prominenten Platz der Stadt ein und reiht sich selbstbewusst neben den christlichen Kirchen ein.
Interessant fand ich, dass in beiden Führungen doch immer wieder der Bezug zu christlichen Kirchen gewählt wurde, um bestimmte Details zu erklären – und das in Tschechien, wo große Teile der Bevölkerung ausgesprochen stolz auf ihren Atheismus sind.1 Zum Beispiel gab es in den Synagogen keine Person, die wie ein Pfarrer oder Pastor als „Vermittler“ zwischen Gott und den Gläubigen fungiert hätte. Gebetet hat jeder letztendlich für sich. Eine weit größere Bedeutung als im christlichen Gemeindeleben kam zudem dem Studium der Schriften zu, das in dem selben Raum betrieben wurde . Für diejenigen, die im Selbststudium die Zeit vergaßen, hing in der Alten Synagoge eine Uhr – die nicht etwa der Einhaltung eines Zeitplans beim Gottesdienst diente.
Die Alte Synagoge
Die Alte Synagoge ist die älteste noch bestehende Synagoge in Pilsen. Sie wurde in den Jahren 1858-59 erbaut und letztes Jahr nach einer aufwändigen Renovierung wieder eröffnet. Das Gebäude besitzt eine zweistöckige hölzerne Galerie, zu der zwei Wendeltreppen hinauf führen. Besonders auffällig ist zudem die hölzerne Kassettendecke. Auf der Galerie war eine Ausstellung über religiöse Aspekte und die Entwicklung der jüdischen Gemeinden in der Stadt und dem Umland zu sehen.
- Rückseite des Hauses zur Straßenseite hin
- In der Alten Synagoge
- Alte Synagoge – Blick zur Galerie
- Alte Synagoge – Wendeltreppe zur Galerie
Hinter dem Gebäude befindet sich ein Holocaust-Denkmal – auf Steine wurden per Hand die Namen der ermordeten Juden dieser Stadt geschrieben. Einerseits bekam man einen Eindruck von dem Ausmaß, wie kaltblütig menschliche Leben vernichtet wurden, die hier einmal zuhause waren. Andererseits bildeten die Steine aber auch einen würdigen Ort der Ruhe.
Die Große Synagoge
Die Große Synagoge ist die drittgrößte Synagoge der Welt und die zweitgrößte in Europa.2 Damit hat Pilsen ein internationales Highlight zu bieten, das gewöhnlich völlig hinter dem Bier-Image verschwindet. Abgesehen von einigen maurisch anmutenden Stilelementen und ein paar für Synagogen typischen Ausstattungsmerkmalen hat man hier durchweg das Gefühl, sich in einer Kirche zu befinden. Selbst Kirchenfenster und Orgel sind hier anzutreffen.
Heute wird das Gebäude zusätzlich für Konzerte und Ausstellungen genutzt.
- Blick vom Zentrum her. Ohne Davidstern könnte man es für eine Kirche halten.
- das Mittelschiff: zu sehen ist die Orgel – ein Stück übernommener regionaler Kultur
- Blick zur Galerie hinauf
- Detail des Deckengewölbes
- rückwärte Fenster
- Fensterdetail
Einen besseren räumlichen Eindruck gewinnt man mit diesen interaktiven Panoramafotos.
Die Alte Synagoge ist erreichbar von der Straße „Smetanovy sady“ (das ist der langgestreckte Park südlich des zentralen Marktplatzes). Die Große Synagoge ist nur fünf Minuten zu Fuß davon entfernt, auf der anderen Seite des Theaters „J.K. Tyla“ – nicht zu übersehen.
Neben den Synagogen gibt es in Pilzeň auch einen ehemaligen jüdischen Friedhof, der allerdings ein Stück außerhalb des Zentrums liegt. Verblieben sind davon nur ein paar Grabsteine in einem Park.
Dieses Thema findet auch Erwähnung in meinem Buch „111 Gründe, Tschechien zu lieben“.
Erhältlich ist es im Buchhandel.
Sehr schöner Bericht. Beide Synagogen sind beeindruckend. Die alte Synagoge scheint noch aus der ehemligen k u k Zeit zu stammen? Die neue Synagoge mit Orgel sieht nach einer reformierten Gemeinde aus. Irgendwo habe ich einmal gelesen, dass in der Zeit des 20. Jhds auch in jüdischen Gemeinden nicht von Bar Mizwa, sondern von Konfirmation gesprochen wurde und in Saaz sei ein Rabbiner auch bei der Frohnleichnamsprozession mitgegangen. So weit angenähert hatten sich die Religionen. Leider hat es den Juden wenig genützt.