Wochenendausflug nach Amerika

Velká Amerika

Blick von der umzäunten Aussichtsplattform im Nordosten

„Amerika“ ist ein seltsamer Ort: In den sanften Hügeln Mittelböhmens, verborgen hinter Unkraut und Gestrüpp, befinden sich gigantische Löcher im Boden. Es ist ein Ort an der Grenze zwischen Traum und Albtraum.

Gerade bei Sonnenschein bietet er Bilder von bezaubernder Schönheit und wird aufgrund seiner beeindruckenden Felsenkulisse auch der „tschechische Grand Canyon“ genannt. Tief unten befinden sich ein See, und bei dem Anblick könnte man glauben, man habe hier einen sagenhaften verborgenen Ort entdeckt.

Diese Täler wurden künstlich errichtet. Auf einer Fläche von 750 mal 150 Metern haben sich Maschinen bis zu 80 Meter in die Tiefe gegraben, um Kalkstein zu fördern. Mehrere Tunnelanlagen führen in das Gestein und stellen zum Teil eine Verbindung zwischen den Talsohlen her.

Diese Steinbrüche waren jedoch nicht immer nur idyllische Täler. Der zweitgrößte von ihnen mit dem Namen „Mexiko“ wurde einmal als Arbeitslager für politische Gefangene verwendet und war berüchtigt für seine harten Lebensbedingungen.

Velká Amerika

Velká Amerika vom südwestlichen Ende gesehen

Mit Kind und Rad zum „Grand Canyon“

Als Besucher darf man nicht hinab steigen,1 aber es führt ein abgezäunter Weg um die Steinbrüche herum, der von der Betreiberfirma eingerichtet wurde. Die Zäune haben sicher ihren guten Grund, werden aber von den Schaulustigen fast schon routinemäßig ignoriert.

Eine Gesellschaft am Abgrund: Der Parkplatz ist überfüllt. Es kommen Unmengen zumeist junger Wochenendbesucher. Die Trampelpfade reichen unter den Absperrungen hindurch und bis zum letzten Grasballen am Felsrand. Dort stehen ganze Grüppchen, oft mit Selfie-Sticks oder mit Fahrrädern. Ein bisschen nervös macht mich ein frei umher laufendes Kind im Vorschulalter.

Wo die Sonne nicht hinreicht, dort bewahrt der lehmige Boden den gestrigen Regen in Pfützen. An einigen Stellen ist er extrem rutschig. Teilweise haben die zahlreichen Besucher provisorische Stufen in den Lehm getreten.

Zur Popularität von „Amerika“ mag auch der Filmklassiker „Limonaden Joe“2 beigetragen haben, der zum Teil hier gedreht wurde.

 

„Velká Amerika“3, den größten der Steinbrüche, kann man aber auch ohne Risiko besichtigen. Der beste Ort hierfür ist der nördliche Rand, wo nahe der Straße ein Aussichtspunkt zu finden ist, an dem man vom Abgrund durch einen hölzernen Zaun getrennt ist. Der zweitbeste Punkt liegt am südwestlichen Ende.4  Es kann nicht schaden, zum Fotografieren ein gutes Zoom-Objektiv mitzunehmen.

Über „Amerika“ kann man auf der deutschen Wikipedia nachlesen und findet reichliche Informationen, historische Fotografien und virtuelle Besichtigungen der Stollen auf diesen tschechischen Seiten.

Aufgrund der nahen Entfernung zur Burg Karlstein (Karlštejn) lassen sich beide Sehenswürdigkeiten auch in einem Besuch erledigen, allerdings kostet der Fußweg über die Hügel und um die Steinbrüche herum dann doch einige Stunden.

 

Anreise

Karlstein

Im Nahverkehrszug gelten bis Radotín die ÖPNV-Fahrscheine des Prager Innenraums.

Für eine Wanderung empfiehlt sich zum Beispiel der Weg von Karlstein (Karlštejn) aus. Einfach wie zur Burg gehen, dann aber nicht zu deren Eingang hinauf, sondern der Straße nach Mořina folgen. Der Weg entlang der Straße ist jedoch nicht so attraktiv wie durch den Wald. Für den Gang durch den Wald biegt man ein Stück außerhalb Karlsteins auf dem kleinen Parkplatz nach links ab und geht den zumeist waldigen Weg auf den Bergrücken hinauf und oben dann nach rechts, bis man Mořina erreicht. Von der Ortsmitte aus steigt man auf der Gegenseite den gelb markierten Weg empor.

Die Steinbrüche haben auch ihre eigene Bushaltestelle: „Mořina, odb. lom„. Busse fahren von Zličín, also der westlichsten U-Bahnstation Prags – siehe Verbindungsauskunft.

 

Karlstein

Stadtpolizei im Wald

Sonstige Tipps

Der Besuch empfiehlt sich nicht bei Dunkelheit, Regennässe oder Schneeglätte. Vielleicht ist die Sicht hinab besser, wenn die Bäume kein Laub tragen.

Im Raum Karlstein wird Falschparken selbst im Wald geahndet. Parken kann man kostenlos direkt am Steinbruch.

Einband des Tschechien-Buches

Dieses Thema findet auch Erwähnung in meinem Buch „111 Gründe, Tschechien zu lieben“.

Erhältlich ist es im Buchhandel.

Leseprobe

Zeige 4 Fußnoten
  1. Die Strafe beträgt bis zu 15000 Kč.
  2. Siehe den Trailer zur Aussprache des Namens.
  3. „Großes Amerika“
  4. … wo zwar der Verlauf der Abtrennung etwas unklar ist, allerdings ist dort der Abhang nicht so abrupt.

Christoph Amthor

Erster länger Aufenthalt in Tschechien im Jahr 1997. Seit 2003 wohnhaft zumeist in Prag, mit Abstecher in die Slowakei. Ehemals Journalist und Mitbegründer einer gemeinnützigen Organisation, heute Blogger und Software-Entwickler.

Das könnte dich auch interessieren …

Das ideale Geschenk für alle Tschechien-Liebhaber!

111 Gründe, Tschechien zu lieben ❤️

Einband des Tschechien-Buches

 

Von einer atemberaubenden Landschaft, über Bier und Knödel bis hin zu Kafka, dem Golem und einem Geist, der eine wissenschaftliche Karriere gemacht hat. Vom Fliegenden Ferdinand  und Pan Tau bis zur Lässigkeit, mit der dort ein Fabrikschornstein gefällt wird.

 

Über dieses Land, das einfach liebenswert, aber oft auch geheimnisvoll und extrem verrückt ist, gibt es wirklich genug zu erzählen. Und natürlich kann man darüber nur mit einer guten Portion böhmischen Humors schreiben.