Theresienstadt – Terezín
Theresienstadt ist ein Thema, für das sich nicht einfach Worte finden lassen. Dabei geht es nicht so sehr um die häufige deutsche Sorge, etwas Falsches zu sagen, sondern einfach um das unmögliche Unterfangen, diesem ungeheuren Berg an erdrückenden Bildern die passenden Worte abzugewinnen, ohne etwas Wichtiges zu reduzieren. Es bleibt immer unvollständig und unzureichend, wie Bruchstücke einer Erinnerung.
Manchmal kann man etwas schwer zu Fassendes an einem kleinen Fundstück festmachen, das alles Unaussprechliche in sich trägt. Besonders getroffen hat mich in Theresienstadt ein altes Schwarzweißfoto, das den einfachen Titel trägt: „Auf dem Weg in die Gaskammer“. Besonders verstörend finde ich dabei diese Lebendigkeit der Situation, wie sich die Kinder vielleicht noch miteinander unterhalten, wie die Älteren Verantwortung für die Jüngeren übernehmen und die Mutter sich um ihr kleines Kind sorgt. So kurz davor, ermordet zu werden, so verschwindend klein erscheinen diese persönlichen Schicksale in den kaum mehr denkbaren Gesamtzahlen, und so schnell droht das Erinnern mit jedem Jahrzehnt, das seitdem verstrichen ist, zu verblassen.
Dieses Foto stammt nicht aus Theresienstadt, sondern aus einer weiteren Station, die auf Orte wie Theresienstadt angewiesen war, um plangemäß funktionieren zu können.
Während der Führung durch die Gedenkstätte überlege ich, ob ich das berüchtigte „Arbeit macht frei“ überhaupt fotografieren will. Der zynische Spruch drückt doch nicht mehr aus als vielleicht das Systematische, Intentionale hinter den Täuschungen und dem Massenmord. Er dient auch heute Vielen noch zu einem Zynismus, oder einer Sensationslust. Damals war er vor allem ein Mittel der Disziplinierung, Schmieröl in der großen Maschine.
Das Ausmaß des Verbrechens ist nicht zu erfassen. Es geschah nicht in einem Moment des Irrsinns oder in der Hitze von Gefühlen, sondern kaltblütig, ausdauernd und hinterhältig. Das Morden in industriellen Maßstäben war nur mit bewusster Organisation zu erreichen, mit Hilfe vieler tätiger Hände und gelehrter Köpfe, Techniker, Verwalter, bis hin zu solchen, die sich am menschlichen Leiden sogar geweidet haben und von ihrer Macht berauscht gewesen zu sein schienen.
An einigen Orten spalten sich von diesen riesigen Zahlen immer wieder ein paar Hunderte ab. Etwa wenn von den Erschießungen die Rede ist. Hier standen Leute, die vielleicht nur etwas Falsches gegen das Regime gesagt hatten, und sie wussten von ihrem Ende in wenigen Sekunden.
- Unter den alten Verteidigungsanlagen
- Zellen in der Kleinen Festung. Der Vorraum wurde für Verhöre benutzt.
- Pritschen für „normale“ Gefangene
- Wäscherei
- Waschraum und „Klinik“. Hier operierten inhaftierte Ärzte mit Rasierklingen.
- Dusche. Es gab nur wenige Toiletten und kaum Brunnen.
- Der letzte Hof wurde 1944 gebaut.
- Hier waren Temperaturunterschiede extrem.
- Schießplatz (In den „Kreuzformen“ lagen die Schützen)
- Hier wurden fast 300 Menschen erschossen.
- Hinter der Erschießungsmauer: ein Schwimmbecken für SS-Angehörige
- Auf Fluchtversuch stand die Todesstrafe.
- Durch diese Lücke gelang drei Gefangenen die Flucht.
- Hier residierte die SS-Mannschaft.
Von der Festung zum Durchgangslager
Theresienstadt war zunächst eine militärische Festung, die jedoch nach ein paar Jahrzehnten militärtechnisch der Entwicklung hinterher hinkte und deshalb bereits im Krieg von 1866 keine größere Bedeutung mehr spielte. Während der deutschen Besetzung hatte die nationalsozialistische Führung des Protektorats zunächst in der Kleinen Festung, also dem Teil östlich der Eger, ein Gestapogefängnis eingerichtet – vor allem für politisch anders Denkende und Widerstandskämpfer, für religiöse Querulanten und für Homosexuelle. Dieses war von 1940 bis 1945 in Betrieb. An diesem Ort wurden auch Juden gefangen gehalten, zum Beispiel weil sie gegen antijüdische Vorschriften verstoßen hatten, allerdings unter sehr viel schlechteren Bedingungen. Nach dem Krieg wurden hier Deutsche interniert.
Als in Böhmen die systematische Judenvernichtung in Gang lief, wurde 1941 die Große Festung zu einem Sammel- und Durchgangslager umfunktioniert. Der Grund ist so banal wie erschreckend: Die für den Massenmord entworfenen Anlagen waren einfach noch nicht fertig. Die ursprüngliche Bewohnerschaft musste wegziehen, und die herbei transportierten Juden lebten hier unter sehr einfachen und erniedrigenden Bedingungen, stark gegängelt und immer unter der Drohung von Strafen und Kollektivstrafen für Lapalien.
Sobald die Vernichtungslager ihren Betrieb aufgenommen hatten, wurden die Insassen in Zügen weiter transportiert, zumeist nach Auschwitz. Neue Bewohner wurden herbei geschafft und sorgten für einen steten Wechsel. Noch im Mai 1945 traf ein letzter Zug ein.
Von den insgesamt rund 155.000 Ghettobewohnern starben hier etwa 35.000. Trotz aller Leiden in Theresienstadt lebte dennoch die Hoffnung fort, man könne sich durch Arbeit im Osten gewissermaßen frei kaufen.
Als die Nachricht von den Konzentrationslagern zu einem erhöhten Interesse im Ausland führte, wurde das Lager von den Nationalsozialisten zu einem „Vorzeigeghetto“ umgestaltet. Unter anderem wurde die Überfüllung damit verringert, dass ein Teil der Bewohner gleich nach Auschwitz abtransportiert wurde. Zu dem geschönten Bild sollte auch ein Propagandafilm beitragen, der eigens von Kurt Gerron gedreht, aber nicht öffentlich aufgeführt wurde. Gerron wurde später selbst in Auschwitz ermordet.
Über das Schicksal der Juden in Theresienstadt informiert vor allem das Ghettomuseum in der Großen Festung. Auf vielen Schautafeln erfährt man bis hin zu kleinen Details vom Alltag und dem Schicksal der Insassen, aber auch davon, wie sie ihre Menschenwürde verteidigt haben, indem sie kulturelle Veranstaltungen durchführten, ihre Religion ausübten, Zeitschriften herausgaben, Schulen betrieben oder, wie viele Kinder und Jugendliche, Bilder malten und Gedichte schrieben.
Wie lebt es sich im früheren Ghetto Theresienstadt?
Wenn man die Gedenkstätte und das Ghettomuseum verlässt, dann steht man im heutigen Theresienstadt. Es gibt einige Häuser mit Tafeln, an denen Erklärungen stehen, was an jenem Ort zur Zeit des Ghettos passiert ist.
Immer wieder drängt sich mir die Frage auf, wie sich die jetzigen Bewohner in ihrer Stadt fühlen. Wie lebt es sich in einem Haus, in dem früher Tausende von Menschen verschiedenster Nationalitäten, Berufe und Alter gelebt haben, deren Schicksal schon besiegelt war? Wie trinkt man sein Bier auf einem Platz, wo früher vielleicht die Pärchen saßen, von Heimweh geplagt, voller Zukunftspläne, aber ohne Zukunft?
Das heutige Theresienstadt kommt mir trostlos vor. Und wie könnte es auch anders sein, denke ich mir. Häuser, Bänke und Parkanlagen sind in einem schlechten Zustand, und abends hängen hier alkoholisierte Gestalten herum. Wie soll man auch ein positives Verhältnis zu der Vergangenheit dieses Ortes aufbauen?
Und doch lebt man hier. Auf dem „Platz der Tschechoslowakischen Armee“ treffen sich die Jugendlichen zum Flirten, und Kellner warten hinter den Fenstern auf die letzten Touristen des Tages. Es gibt eine Apotheke, eine Konditorei und eine Hochschule für Angewandte Psychologie.
- Zwischen der Großen und der Kleinen Festung fließt die Eger.
- Die alte Befestigung vereinfachte die Abschirmung nach außen.
- Eines der Tore zum ehemaligen Ghetto.
- Die Straßen sehen noch sehr nach Kaserne aus.
- Im Keller dieses Hauses wurden diverse Opern und Verdis Requiem einstudiert.
- Auf dem Dachboden dieses Hauses versammelten sich Häftlinge zum Gottesdienst. Erhalten ist eine hebräische Inschrift.
- Block C IV
- Typische „halbe“ Bank im Zentrum
- Wie schmeckt wohl ein Bier im früheren Ghetto?
Abends wird es sehr schnell still in den Straßen. Die meisten Besucher werden in Bussen an- und abtransportiert. Nachdem die Gedenkstätte geschlossen hat, sind sie wieder weg. Die berüchtigte Bahnanbindung wurde aufgegeben. Ein paar Touristen, die mit mir auf einen der letzten Busse warten, äußern laut ihre Erleichterung, als er endlich eintrifft. Ich kann nicht leugnen, dass auch ich diesen Ort mit einem Gefühl der Erleichterung verlasse.