Telč: Die Bilderbuchstadt auf der Insel
Nach einmaligem Umsteigen in Jihlava sitze ich nun im örtlichen Überlandbus. Die Fahrt nach Telč (Teltsch) führt über Landstraßen, durch Dörfer und an der Fleischfabrik eines Oligarchen vorbei. Gerade im sonnendurchstrahlten Dunst des herbstlichen Morgens hat diese Landschaft oft etwas magisch Entrücktes. An einer Haltestelle dreht sich langsam mein Sitznachbar zu mir herüber und fragt mich behäbig, während ich den Alkohol rieche: Vystupuješ? Steigst du aus?
Telč ist es irgendwie gelungen, allen Zerstörungen der letzten Jahrhunderte zu entkommen. 30-jähriger Krieg, Weltkriege, kommunistische Städteplanung und Massentourismus sind an der Stadt fast spurlos vorüber gegangen. Dazu mag auch beigetragen haben, dass sich die Stadt nicht gerade an den Hauptverkehrsachsen befindet.
Ist man erstmal in Telč, dann ist alles nah. Zu Fuß bin ich in wenigen Minuten von der Haltestelle „Kino“ in der Innenstadt. Einer der riesigen, langgestreckten Fischteiche, die das Zentrum schützend umgeben, ist gerade leer. Ein einzelner Bagger steht darin, untätig.
In der innersten Stadt habe ich aufgrund der Teiche, oder eigentlich Seen, andauernd das Gefühl, mich auf einer Insel zu befinden. Der Marktplatz ist ein langgezogenes Dreieck, rundum gesäumt von Fassaden, die sich in Schönheit zu übertreffen suchen. Telč ist ein Bilderbuchstädtchen, wie man es nur selten trifft. Kein Wunder, dass es als UNESCO-Weltkulturerbe besonderen Schutz erfährt.
Zu Fuß habe ich den Platz schnell umrundet, verlassen und bin auf Umwegen wieder herein gestoßen. Immer wieder treffe ich auf Reisende einer ostasiatischen Gruppe, die mit Kameras beladen sind, offenbar bemüht, das perfekte Foto heimzubringen. Die Stadt macht sich dabei sehr gut im herbstlichen Licht, umhüllt von goldenem Laub.
Die Häuser zeichnen sich zumeist durch ihre schmale Fassade aus. Unten befanden sich durchgehende Laubengänge, in denen früher gehandelt wurde. Die große Diele, das Maßhaus, diente als Verkaufsraum oder Werkstatt, und sogar gebraut wurde hier. Darüber, lagen Wohnräume, und zwar zum Platz und rückwärts zu den Teichen hin, und zwischen ihnen die Rauchküche.
Noch Teil des Zentrums ist die Synagoge, die heute nicht in Gebrauch ist. Der jüdische Friedhof liegt weiter außerhalb.
- „Unterer Brunnen“
- Der Heilig-Geist-Turm – das älteste Baudenkmal der Stadt. Ursprünglich gehörte dazu eine romanische Kirche.
- Das „Feuerwehrhaus“ – 1870 gebaut, und somit das jüngste Haus am Platz.
- Aussichtsturm bei der Jakubskirche
- Diese Brücke ist ein Geschenk der schweizerischen Gemeinde Belp.
- Blick von der Belp-Brücke
- Instandhaltung des Štěpnický rybník
Italienische Einflüsse
Die Geschichte der Stadt ist eng mit den Namen Zacharias von Neuhaus und seiner Gemahlin Katharina von Waldstein verknüpft, die hier geherrscht haben. Als Oberstkämmerer und Landeshauptmann von Mähren brachte er es zu beachtlichem Einfluss und Wohlstand, wovon vor allem Telč profitierte.
Um sein Schloss im Stil der Renaissance umzugestalten, ließ er den italienischen Baumeister Baldassare Maggi von Arogno kommen. Und da der schon einmal angereist war, bekamen auch die Bürgerhäuser ihren Anteil an der Renaissance. Heute würde man wohl von einem „Stilupdate“ sprechen.
- Innenhof des Schlosses
- Schlossgarten
- Allerheiligenkapelle, mit den sterblichen Überresten von Zacharias und Katharina
- Gewächshaus im Park
- Ein Gesicht?
Hinaus auf das „Festland“
In Telč sollte man unbedingt auch die umliegenden Wege erkunden, die gut ausgebaut und in den Broschüren ausführlich beschrieben sind.
- Mutter Gottes
- Dampfmühle
- Johannes der Täufer, mit einem zeitgenössischen Accessoireupdate
Im Telčer Untergrund
Nach Anmeldung im Informationszentrum kann man für eine Weile mit Begleitung in den Untergrund verschwinden. Der eigentlich faszinierende Teil ist ein System aus engen Gängen, mit dem die Keller unter dem Marktplatz verbunden sind. Allerdings ist der Weg nichts für große Besucher mit Rückenbeschwerden: Über weite Strecken hinweg bewege ich mich in gekrümmter Haltung voran.
Diese Räume hatten früher als Lager gedient, zudem waren sie auch mögliche Fluchtwege. Der Gang zum Schloss hinüber ist leider nicht mehr durchgängig, weil in der Mitte ein Restaurant seinen Keller hat. Zudem sei das Schloss renovierungsbedürftig, wird mir erklärt. Dort unten möchte ich nicht verschüttet werden!
Neben diesen Gängen wurde ein geräumiges Kellergewölbe mit moderner Technik ausgestattet und wirkt nun mit dem runden Durchgang, den gewölbten Sesseln und einem zentralen Tisch mit Touchscreen wie ein Raumschiff, das hier begraben liegt. Auf einer fließenden Leinwand aus Qualm teilen Zeitzeugen ihre Erinnerungen mit, und die auf den Boden projizierten historischen Fotos kann man mit den Füßen schrittweise in den heutigen Anblick verwandeln.
Diese Zeugnisse sind interessant, erfordern allerdings zumeist Tschechischkenntnisse. In einer größeren Besuchergruppe wird man vielleicht nicht viel von den interaktiven Funktionen haben.
Dieses Thema findet auch Erwähnung in meinem Buch „111 Gründe, Tschechien zu lieben“.
Erhältlich ist es im Buchhandel.