Schnitzeljagd durch Prags Nordosten

Vorfrühlingshaftes Sommerwetter gewährte die besten Bedingungen, um endlich einmal einen Lehrpfad auszuprobieren, den ich schon lange im Visier hatte. Er führt durch drei Prager Stadtteile, nämlich Vysočany, Prosek und Střížkov. Ich habe noch Libeň mit daran gehängt, so dass ich direkt von der Moldau aus  nur dem Lauf der Rokytka zu folgen brauchte. Somit deckte der Weg ein Segment im Nordosten Prags ab, zwischen Zentrum und Peripherie.

Der Lehrpfad befasst sich thematisch mit dem historischen Hintergrund, zumeist ländlichen Strukturen, zuweilen ehemaligen Industriebauten. Die Informationstafeln setzen dabei keine bestimmte Abfolge oder Gehrichtung voraus. Man kann den Weg also beginnen, wo man will. Die Texte sind auf Tschechisch, man kann sich aber bei Bedarf mit dem unten erwähnten Trick behelfen, um zumindest den groben Sinn zu erfassen.

Ich schicke den Details eine zusammenfassende Bewertung voraus:

Ist der Weg die Mühe wert?

Ja. Aber mit Einschränkungen. Zumeist sind hier keine spektakulären Sehenswürdigkeiten zu erwarten. Gerade das nördliche Stück führt lange einfach auf Gehwegen durch eine Plattenbausiedlung hindurch. Als Sehenswürdigkeit im Stadtteil Prosek etwa wurde die Statue des Dichters Jiří Wolker gewählt. Über Wolker hätte man sich aber auch woanders informieren können, und mit dem Ort hat ihn auch nicht sonderlich viel verbunden. Andererseits ergaben sich auch so interessante Momente, die nicht zum Lehrpfad gehörten, und große Teile des Weges bilden einfach eine schöne Route für einen längeren Spaziergang mit einem thematischen Hintergrund.

Wie anspruchsvoll ist der Weg?

Man muss mit Steigung und Stufen rechnen. Mit Fahrrad oder Kinderwagen kommt man also nicht weit. Teilweise musste ich (nach der Schneeschmelze) ausgedehnte Schlammstrecken umgehen, bei normalen Wetterverhältnissen sollte das aber kein Problem sein.

Der Streckenverlauf lässt sich gut für die eigenen Bedürfnisse umgestalten, da es ohnehin keinen festen „Korridor“ gibt. Sehr häufig trifft man auch auf Haltestellen, so dass man auf den ÖPNV umsteigen kann, wenn es einem zu viel wird.

Wie gut ist die Route ausgeschildert?

Die Route ist zum Teil sehr schwer zu finden. Das schließt die Informationstafeln mit ein, die ja eigentlich auch als Orientierungshilfen dienen sollten. Wenig hilfreich ist auch der Orientierungsplan auf den Tafeln, der sehr ungenau ist und in dem zum Beispiel keine Wasserläufe eingezeichnet sind. Da es ansonsten keine Hilfen gibt, kam ich oft nur zurecht, indem ich immer wieder diesen Plan mit der „Live“-Karte auf dem Handy verglichen habe. Selbst dann vor Ort ist es oft schwer, die Infotafeln zu finden – zumal man manchmal auf die graue Rückseite zugeht. Die Texte einiger Tafeln sind zudem infolge von Graffiti fast unlesbar.

Zum Vergleich: Die Karte von den Info-Tafeln und mein tatsächlicher Weg, mit meinen Vorschlägen, wie sich der Weg abkürzen lässt, ohne allzu viel zu verpassen.

 

Teil 1: Durch Libeň an den Beginn des Lehrpfads

Der Stadtteil Libeň ist nicht eigentlich ein Teil der Route. Allerdings ist Libeň eben doch der Stadtteil Bohumil Hrabals, also immer einen Besuch wert. Ich beginne den Weg bereits an der Brücke „Libeňský most“, wo es eine gleichnamige Haltestelle gibt. Von hier gelange ich auf den Fuß- und Radweg hinab, der am Golfplatz vorbei führt und die Brücke unterquert. Alternativ kann man natürlich auch gleich auf diesem Weg aus Karlín kommen.

An der Schleuse für den Hochwasserschutz treffe ich auf den Bach Rokytka, der hier in die Moldau mündet. Der Wasserlauf ist begradigt und wirkt zumeist wie mit dem Lineal gezogen. An seinem Ufer entlang gehe ich nun flussaufwärts und passiere das Schloss von Libeň. Dieser Weg ist relativ einfach zu finden. Die einzige Hürde ist hinter den Häusern die Unterführung unter der verkehrsreichen Čuprova, wo auch eine Bahnstrecke kreuzt. Dieses Stück ist eher hässlich, man muss da einfach durch. Danach passiere ich die Brauerei Nad Kolčavkou – für einen Besuch ist es noch zu früh. Ich habe noch viel vor.

 

Teil 2: Vysočany

Vysočany präsentiert sich als ein modernes Wohngebiet, in dem nicht mehr viele historische Gebäude stehen. Zusammen mit Libeň bildet es den „unteren“ Teil des Rundgangs.

Hier beginnt der eigentliche Lehrpfad. Der Weg unter den Bäumen den Bach entlang ist sehr schön und ich muss mich nicht um den Autoverkehr kümmern. Irgendwann treffe ich auf die Sokolovská-Straße, die leicht daran zu erkennen ist, dass hier eine Straßenbahnlinie entlang führt. Wer will, kann natürlich auch weiter dem Bach folgen.

Links ein Stück die Straße hinauf befindet sich die Metrostation Vysočanská. Das ist der „offizielle Beginn“ der Route. Wer per Metro anreist, muss allerdings den Ausgang zur Sokolovská wählen.

Von hier über die Straße kommt man zum Bahnhof Vysočany, den ich mir ansehe. Die Atmosphäre ist völlig anders als im Hauptbahnhof. Wenn ich einen historischen Film über Bahnreisen drehen müsste, dann würde ich diesen Bahnhof als Schauplatz wählen.

Die Durchquerung des gemauerten „Stollen“ zur anderen Seite ist ein eigenes Erlebnis. Dann kommt wie so oft ein Punkt, wo ich zunächst nicht weiter weiß. Wie sich dank des Stadtplans herausstellt, muss ich unter der Straßenbrücke hindurch und dann gleich links und den Anhang hinauf.

 

Teil 3: Prosek

Prosek liegt oberhalb von Vysočany. Mit dem Auto oder Bus fährt man über eine Art Serpentine hinauf. Da erschien es mir immer wie eine beträchtliche Anhöhe. Zu Fuß ist der Weg allerdings dann doch kein Problem, man sieht hier sogar Jogger. Prosek kannte ich lange Zeit nur als Plattenbausiedlung, bis ich einmal „Alt Prosek“ besucht hatte. Wie auch in vielen anderen Stadtteilen Prags gibt es hier noch Straßenzüge, die sich den früheren, oft dörflichen Charakter erhalten haben. Alt Prosek glänzt hier vor allem durch die Kirche des Heiligen Wenzel, einer romanischen, dreischiffigen Kirche aus dem 11. oder 12. Jahrhundert. Hier in Alt-Prosek verliert sich der genaue Verlauf des Lehrpfads, allerdings ist die Kirche auch so gut zu finden.

Die Route führt mich nun zunächst zur Metro-Station Prosek und durch den Park der Freundschaft. Vielleicht geht es darum, dass man hier aus der Metro kommend den Rundweg beginnen kann. Allerdings ist mir dann unverständlich, warum die Infotafel mit dem Rücken zum Metro-Ausgang aufgestellt wurde.

In einem weiten Bogen geht es nun durch den „Park der Freundschaft“ (derjenigen zwischen „Bruderstaaten“, lässt sich vermuten) zur Metro-Station Střížkov. Die Proseker Platte sieht nicht anders aus als irgendwo sonst in Europa. Die Statue von Jiří Wolker habe ich auch nicht als atemberaubend empfunden. Ich denke, dass hinter der Kirche durchaus improvisiert werden kann, was den Wegverlauf anbelangt.

 

Teil 4: Střížkov

Wer moderne Architektur mag, der wird wohl in der Metro-Station auf seine Kosten kommen, die mich an Flughafengebäude erinnert und die man auf Brücken durchqueren kann. Der Kontrast zum altmodischen Bahnhof Vysočany könnte nicht stärker sein. Von hier biege ich in die Teplická ein, vor dem Hotel Duo.

 

Park Café in StřížkovEine tolle Entdeckung ist ein Stück weiter das Park Café. Das Gebäude ist ein simpler zweigeschossiger Block.

Weiter die Teplická und dann die Litoměřická hinunter gelange ich zur Bushaltestelle Madlina, wo sich die nächste Infotafel versteckt hat.

Nun werde ich die Straße hinunter und ins Gestrüpp geführt. Hier soll sich eine Aussichtsplattform befinden, die weder ich noch andere Suchende gefunden haben. Der Weg ist übersät mit Hundedreck, die Büsche voller Müll, und plötzlich stehe ich vor einem Tor. Schluss. Diesen Umweg würde ich auf jeden Fall vermeiden.

Prager Polizist erleichtert sich

Hier, wo der Polizist steht, sollte der Weg zur Aussichtsplattform führen.

Der nächste lohnende Punkt ist ein Park, wo sich ein Aussichtspunkt befindet, der nach der Sängerin Ema Destinnová benannt worden ist. Leider versperrt eine Straße den Weg direkt zum Abhang, aber man sieht auch so die Prager „Skyline“.

Ich folge dann der Straße Nad Kundratkou in ein Naturschutzgebiet, dem man diesen Titel zunächst nicht ansieht. Unten befinden sich Sandsteinfelsen, die von Höhlen und einem Labyrinth durchzogen sind, deren Gesamtlänge auf 5-7 km geschätzt wird. Jenseits der Straße habe ich zunächst den Weg verfehlt – dort muss man nämlich direkt hinter der Bobbahn links den Hang hinunter und dann – in links in einer Schleife – die Bahnstrecke unterqueren.

 

Teil 5: Zurück in Vysočany

Hinter der Bahnlinie gelange ich in den Park Podviní, den ich bereits jenseits der Rokytka gesehen habe. Hierher muss ich noch einmal im Frühling kommen.

 

Nachbemerkung: Wie übersetzt man den tschechischen Text auf den Tafeln?

Schautafel Jiri WolkerMir ist klar, dass viele Leserinnen und Leser und die meisten Tschechien-Reisenden kein Tschechisch verstehen. Natürlich ersetzt Technologie keine Übersetzer aus Fleisch und Blut, kann aber doch zumindest helfen, so ungefähr zu verstehen, worum es geht. Es genügt in dem Fall ein Smartphone und die App „Google Translate“ (Android, iOS). Mit der eingebauten Kamera-Funktion lässt sich dann ein Foto von dem Text machen und ihn so halbwegs übersetzen.

Wer in Tschechien kein mobiles Internet hat, sollte die nötigen Sprachen schon vorher für die Offline-Nutzung herunterladen.1

 

Wie schon oben geschrieben, sind die Tafeln allerdings zum Teil mit Graffiti verunstaltet, was vor allem den Text unleserlich macht. Da helfen dann auch keine Tschechischkenntnisse.

 

 

Empfehlung

Auf dem Weg passiert man die Brauerei Nad Kolčavkou, die neben gutem Bier auch solide böhmische Kost bietet. Im Untergeschoss befinden sich weitere Tische bei einem holzgefeuerten Ofen.

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  1. Das habe ich für Tschechisch-Deutsch nicht ausprobiert.

Christoph Amthor

Erster länger Aufenthalt in Tschechien im Jahr 1997. Seit 2003 wohnhaft zumeist in Prag, mit Abstecher in die Slowakei. Ehemals Journalist und Mitbegründer einer gemeinnützigen Organisation, heute Blogger und Software-Entwickler.

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Von einer atemberaubenden Landschaft, über Bier und Knödel bis hin zu Kafka, dem Golem und einem Geist, der eine wissenschaftliche Karriere gemacht hat. Vom Fliegenden Ferdinand  und Pan Tau bis zur Lässigkeit, mit der dort ein Fabrikschornstein gefällt wird.

 

Über dieses Land, das einfach liebenswert, aber oft auch geheimnisvoll und extrem verrückt ist, gibt es wirklich genug zu erzählen. Und natürlich kann man darüber nur mit einer guten Portion böhmischen Humors schreiben.