Nobels Dynamitfabrik und der alte Friedhof der Psychiatrie
Wenn ein Prager „Bohnice“ hört, dann denkt er wohl zunächst an die dortige psychiatrische Klinik. Dieser im Nordwesten gelegene Stadtteil hat jedoch weit mehr zu bieten.
Eigentlich hätte ich mit dem Bus auf den Hügel oberhalb von Troja fahren können, aber reizvoller fand ich den Weg über den Fluss. Die Fahrt beginnt am Bahnhof Masarykovo Nádraží. von wo mich ein Nahverkehrszug nach Praha-Sedlec bringt. Von dort geht es zu Fuß hinab zur Straße und ein Stück stromabwärts zum Fähranleger. Bahn und Fähre sind beide im Prager Verkehrsverbund integriert.
Ein wenig muss ich mich gedulden, bis die winzige Personenfähre endlich herüber kommt. Die Überfahrt bei herbstlichem Sonnenwetter bietet einen schönen Blick auf die Hänge beiderseits des Wassers.
Auf der Gegenseite (Praha Zámky) gibt es bereits die erste Kuriosität zu bestaunen: Laut den Schildern auf dem Wagen arbeitet der Fährmann nebenbei auch noch als Masseur, Psychologe und Therapeut. Ob sich diese bunte Mischung ganz natürlich aus den Bedürfnissen der Fahrgäste ergeben hat? Fähren haben in der Literatur und Mythologie immer besondere Rollen gespielt, unterwegs zwischen zwei Welten.
- Ein Stück flussabwärts ist der Anleger der Personenfähre.
- Das ist sie nicht.
- Erwartungsvoller Blick hinüber
- Mit ein paar Minuten Verspätung nähert sich endlich die Fähre.
- Hier ist Platz für eine Handvoll Fahrgäste. Falls nötig, pendelt die Fähre häufiger.
- Blick in Richtung Troja
- Hier gilt der Innenstadttarif des Verkehrsverbundes.
- Bootsanleger in Prag-Zámky
- Eine überraschende Vielfalt an Dienstleistungen: Masseur, Therapeut, Psychologe, Fährmann
Von dem Anlegeplatz, der sich auch per Bus erreichen lässt, gehe ich flussabwärts an der Moldau entlang. Auf der Gegenseite herrscht reger Bahnverkehr. Es handelt sich um die Strecke von Prag nach Ústí (Aussig), Dresden, Berlin und Hamburg – eine wichtige Trasse und momentan ein Nadelöhr, da sie zumeist dem gewundenen Lauf der Moldau und der Elbe folgt und sich mit dem Wasser durch enge Täler zwängt.
- Fußweg bei Zámky, und ein Eurocity mit deutschen und ungarischen Wagen.
- Gegenüber verläuft die Strecke nach Ústí (Aussig)
- Es ist Herbst.
Alfred Nobels Vermächtnis
Nach nur kurzem Weg treffe ich auf ein kleines Seitental, in dem ein paar Gebäude stehen, die schon einmal bessere Zeiten gesehen hatten. Hier befand sich einmal eine Dynamitfabrik des berühmten Schweden Alfred Nobel – die einzige im Land. Sie wurde im Mai 1870 unter seiner Anwesenheit feierlich eröffnet und produzierte Sprengstoff für die Österreich-Ungarische Armee und für die zahlreichen Gruben. Leider kam es in der Fabrik immer mal wieder zu schwerwiegenden Explosionen mit vielen Toten und Verletzten.
Die Produktion wurde schließlich eingestellt oder an andere Orte verlegt. Heute dient das Gelände als Lager und ist nicht öffentlich zugänglich.
- Heute befindet sich dort ein Lager.
- Rauchen verboten – auch heute noch.
Hinauf nach Alt-Bohnice
Von der ehemaligen Dynamitfabrik gehe ich wieder zurück in Richtung Zámky, um dann vor dem Bach Bohnický potok den blau markierten Weg nach links hinauf zu wählen. Der enge Pfad führt nun leicht bergauf in Richtung Bohnice.
Oben findet sich dann eine Abzweigung, die nach links führt. Hinter den Bäumen sind bereits Gebäude zu sehen. Gleich dort gelange ich zu der Umfassungsmauer eines alten Friedhofs.
Der geheimnisvollste Friedhof Prags
Dieser Ort böte sicher eine geeignete Kulisse für Horrorfilme, und auch seine Vergangenheit trägt einiges zu dieser Atmosphäre bei. Der Friedhof wurde im Jahr 1909 in Betrieb genommen. Begraben wurden hier sowohl Insassen als auch Bedienstete des „Instituts für Geisteskranke“1, wie der damalige Titel wörtlich übersetzt heißt. Angelegt wurde er mit einem gewissen Sicherheitsabstand zu diesem Institut, und zwar hinaus geschoben auf eine Art Felshalbinsel, nämlich auf drei Seiten umgeben vom Abgrund. Fast 5000 Gräber sollen sich hier befinden – eine beträchtliche Anzahl.
Während des 1. Weltkriegs wurden hier zudem 3000 italienische Flüchtlinge aus Trient (Trento) beerdigt, die im Lazarett an Typhus gestorben waren.
Gerüchten zufolge soll es in der Friedhofskapelle zu exorzistischen Ritualen gekommen sein, und das im zwanzigsten Jahrhundert. Von der Kapelle ist heute nur noch eine Ruine übrig. Wenn es also irgendwo in Prag nachts spuken sollte, dann hier.
Neben diesen unverbürgten Legenden gibt es andere Ungereimtheiten: In den 60er Jahren wurde der Friedhofsbetrieb von dem neuen Betreiber – der Stadt Prag – eingestellt. Trotzdem finden sich aber Gräber mit Daten aus den 70ern, die offenbar illegal angelegt worden sind.2 Es gibt sogar Gerüchte, dass hier Gavrilo Princip, der Attentäter von Sarajevo begraben liegen soll.
Gleich gegenüber befindet sich ein ehemaliger Tierfriedhof, der von 1998 bis 2006 in Betrieb war und heute als Park dient.
- Aussichtspunkt mit Blick in Richtung Südosten, von wo ich gekommen bin.
- Die Hauptallee durch den Friedhof: Kurioserweise konnte man hinten wieder hinaus.
- Die Ruine der Friedhofskapelle an der Südmauer: Hier soll es früher zu exorzistischen Ritualen gekommen sein.
Von den Friedhöfen führt die Straße direkt in das alte Bohnice hinein. Der Ort mit Schloss und Kirche ist malerisch um ein Tal herum angelegt. Im Hintergrund thront eine Plattenbausiedlung, die unter anderem mit der längsten „Platte“ der Republik aufwarten kann.
Am Statek Vranych, einem alten Gehöft, dessen Giebel sofort in die Augen fallen, befindet sich eine Bushaltestelle.
- Herbstlicher Sportplatz in Bohnice
- Blick über das Schloss zur „Siedlung Bohnice“
- An der Kapelle des Hl. Lazarus (am Hospiz „Straßburg“)
- Die Kirche Peter und Paul mit einem romanischen Gebäudekern.
- Gehöft „Statek Vranych“