Meine fast planlose Reise nach Kroměříž

Es hätte ein Artikel über das mährische Kroměříž werden sollen, aber nun ist es eher ein Bericht über das Reisen in Tschechien zu Corona-Zeiten.

Die Infektionszahlen gehen hierzulande rasant in die Höhe, und mit ihnen leider auch die Zahl der Todesopfer. Die Reaktionen der Bevölkerung decken natürlich die gesamte Bandbreite des Möglichen ab: ängstlich, besorgt, egoistisch, genervt, besserwisserisch, ausgelaugt, misstrauisch, schicksalsergeben, aggressiv, besonnen, panisch, pragmatisch, hilfsbereit, eskapistisch und sicher noch vieles mehr. Was alle diese Leute jedoch verbindet, ist die Tatsache, dass sie dieses Thema einfach nicht vermeiden können.

Ich habe schon längere Zeit ein Treffen mit Bekannten in Mähren geplant, natürlich nur auf Armlänge Entfernung und den Vorschriften entsprechend. Kaum ist alles beschlossen und die Reise gebucht, werden diese Vorschriften geändert.

In meiner Unterkunft werde ich somit mit der einen Regelung einschlafen und mit der anderen aufwachen. Wir schreiben uns Mails und stoßen im Internet auf widersprüchliche Informationen. Manches gilt schon am Freitag, anderes erst ab Samstag, oder ganz bestimmt am Montag, wenn nicht erst ab Mittwoch.

Es wird eine Reise ins Unbestimmte.

Ein Hauch von Ferne

Kroměříž (auf Deutsch „Kremsier“, was ich allerdings nur gelesen und noch nie gehört habe) wäre eine zwar hübsche, aber nicht besonders herausragende Kleinstadt, hätten hier nicht die Bischöfe vom nahen Olomouc/Olmütz ihre Spuren hinterlassen. Es gibt also ein Schloss mit darunter liegender Parkanlage, und ein Stück weiter südwestlich befindet sich der Lustgarten.

Die Galerie im Schloss beherbergt Tizians Gemälde „Die Schindung des Marsyas“, das als das kostbarste Kunstwerk auf dem Gebiet der Tschechischen Republik gilt. Wer glaubt, es gehe ihm heutzutage schlecht, der braucht sich nur eine Häutung bei lebendigem Leibe anzusehen. Das fällt dann wohl unter Kunsttherapie.

Quelle: Wikipedia

Diese Kulturschätze, also nicht direkt die Häutung, zählen mittlerweile zum Weltkulturerbe. Neben diesem Titel wird die Stadt schon länger als „Athen der Hanna“ bezeichnet, wobei Hanna die Bezeichnung der Region ist, die vor allem für ihre Fruchtbarkeit gerühmt wird. Ich hatte also allen Grund, mich auf die mährische Akropolis zu freuen, auf Tempel und auf Wein.

Improvisation

Nun aber hat ein winziges Virus beschlossen, sich im Lande breit zu machen, und das hat ganz erhebliche Folgen auf den Fortgang dieser Reise: In den Museen und Einrichtungen ist niemand zu erreichen. Eigentlich bin ich gerade noch rechtzeitig am letzten Tag vor dem Inkrafttreten umfassender Schließungen angereist, aber unglücklicherweise handelt es sich um einen Freitag, und das ist nicht gerade derjenige Tag, an dem Büros und Ämter vor Tatendrang bersten.

Fast das gesamte Kulturerbe liegt somit hinter verschlossenen Türen. Zum Glück aber ist zumindest die Kasse des Lustgartens geöffnet, wenn auch die Rotunde in seiner Mitte geschlossen bleibt. Nun gut, damit muss ich mich abfinden.

In der Gastronomie herrscht ein völlig unstimmiges Bild. Von den Kellnerinnen eines Cafés trägt eine eine Maske, die zweite nur halb und die dritte bleibt „oben ohne“. Woanders in einem Döner-Imbiss tragen alle Gäste eine Maske, der Mann, der behände das Essen verteilt, dagegen keine. Alle für einen, Gott für alle.

Es läuft hier also alles nach der eigenen Nase, die einmal verdeckt ist und ein anderes Mal herausragt. Die Gäste sitzen, wo es geht, draußen, obwohl es nicht gerade sommerlich warm ist. So weit, so gut.

In diesen Zeiten ist Improvisation gefragt. Keine Rotunde, kein Tizian, keine Häutung, dafür aber die Besichtigung des sehr sehenswerten Lustgartens und eine Runde durch den Schlosspark. Der Rest muss bis zu meinem nächsten Besuch warten.

Änderungen vorbehalten

Das Abendessen nehme ich im Brauereigasthof ein, dem Schwarzen Adler. Es ist eine gute Wahl. Um 19 Uhr 30 dann überrascht mich die Bedienung, als sie uns Gäste um die letzte Bestellung bittet. Denn um 20 Uhr wird zugemacht. Aber wir leben ja in ungewöhnlichen Zeiten, da kann einen so langsam nichts mehr überraschen.

Kroměříž
Brauerei „Černý orel“
Kroměříž
Novákova Zahrada

Die Unterkunft, in der ich eine Nacht verbringe, ist einfach aber wohnlich. Morgens jedoch gibt es die nächste Überraschung, denn der Wasserhahn empfängt mich mit einem spöttischen Zischen. Auf meine Anfrage hin sagen die Betreiber, dass im ganzen Zentrum das Wasser ausgefallen sei. Ich überlege, ob ich sie um Tafelwasser bitten soll, um mir die Zähne zu putzen. Nach rund einer Stunde aber ist das Wasser zurück, allerdings mit einer bräunlichen Tönung.

Zum Frühstück gibt es übrigens den löslichen Kaffee, wie er in den 90ern üblich war. Vielleicht konnten sie die Kaffeemaschine nicht verwenden, weil das Trinkwasser heute aus Flaschen kommt. Der Tag beginnt also mit Nostalgie. Später dann finde ich ein sehr nettes Café (mit rückwärtigem Garten), wo ich mich mit dem lebensnotwendigen Bohnenkaffee versorge. Den lass ich mir nämlich weder von Viren noch von einem Wasserrohrbruch nehmen.

Empfehlungen

Nicht besucht, aber sicher einen Besuch wert:

Es empfiehlt sich, vor der Reise die aktuellen Öffnungszeiten zu überprüfen, da sie je nach Jahreszeit, Wochentag, herrschaftlichen Dekreten und möglicherweise noch weiteren Faktoren variieren.

Christoph Amthor

Erster länger Aufenthalt in Tschechien im Jahr 1997. Seit 2003 wohnhaft zumeist in Prag, mit Abstecher in die Slowakei. Ehemals Journalist und Mitbegründer einer gemeinnützigen Organisation, heute Blogger und Software-Entwickler.

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Von einer atemberaubenden Landschaft, über Bier und Knödel bis hin zu Kafka, dem Golem und einem Geist, der eine wissenschaftliche Karriere gemacht hat. Vom Fliegenden Ferdinand  und Pan Tau bis zur Lässigkeit, mit der dort ein Fabrikschornstein gefällt wird.

 

Über dieses Land, das einfach liebenswert, aber oft auch geheimnisvoll und extrem verrückt ist, gibt es wirklich genug zu erzählen. Und natürlich kann man darüber nur mit einer guten Portion böhmischen Humors schreiben.