Lidice – Ort des Gedenkens und der Mahnung

Lidice ist ein Ort rund eine Stunde nordwestlich des Prager Zentrums, ein Stück hinter dem Flughafen. Von dem ursprünglichen Dorf steht nur noch die Grundmauer eines Gehöftes auf einem hügeligen, parkähnlichen Gelände. Heute befindet sich hier eine Gedenkstätte.

Lidice
Blick über das ehemalige Dorf Lidice. Früher war der Hang dicht bebaut. Oben sieht man die Gedenkstätte.

Lidice bezeichnet nicht nur eine der vielen unfassbaren Grausamkeiten nationalsozialistischer Herrschaft. Es steht auch für die ganz offen anti-tschechische Ausrichtung der deutschen Besatzungspolitik, die ihren Ausdruck in Vertreibung, Unterdrückung und Gewalt gefunden hat.

Das Schicksal von Lidice

Direkter Auslöser war das Attentat auf Reinhard Heydrich, dem stellvertretenden Reichsprotektor in Böhmen und Mähren, durch Angehörige der tschechoslowakischen Exil-Armee. Eine sehr vage Spur führte die Gestapo nach Lidice: ein Brief, der in einer Fabrik in Slaný gefunden worden war. Wie sich später jedoch herausstellte, gab es keine kausale Verbindung zwischen diesem Ort und dem Attentat.

Diese Verbindung war auch gar nicht notwendig. Wie es in der Ausstellung der Gedenkstätte heißt, hätte es auch jedes andere tschechische Dorf in Böhmen oder Mähren treffen können. Getroffen hat es Lidice.

Lidice
Klassenfoto, nur wenige Tage vor dem Ende.

Im Zuge der Vergeltungsaktion wurden zunächst 173 Männer, die mindestens 15 Jahre alt waren, direkt im Dorf erschossen.1 Dazu kam eigens eine Abteilung der Schutzpolizei aus Halle, Heydrichs Geburtsort.

Die Wand eines Bauernhauses wurde mit Matratzen bedeckt, um zurückprallende Kugeln zu verhindern. Die Männer mussten sodann in Gruppen vortreten. Ihnen wurde weder ein Urteil verlesen noch die Augen verbunden. Die Erschossenen blieben einfach liegen, so dass sich die nächste Gruppe vor ihnen aufstellen und das Erschießungskommando jeweils ein paar Schritte zurück gehen musste.

Später wurden noch weitere Einwohner im Prager Stadtteil Kobylisy ermordet. Unter ihnen befanden sich zwei Jungen, die aus der Schule geholt worden waren, weil man festgestellt hatte, dass sie am Stichtag schon 15 Jahre alt waren.

Lidice - Kinderdenkmal
Denkmal im früheren Dorf

Die Kinder von Lidice wurden von ihren Müttern getrennt. Einige wurden zur „Germanisierung“ in deutsche Familien gebracht, die meisten jedoch ins heutige Lodz transportiert. Viele der Postkarten, die sie von dort aus an Verwandte daheim schrieben, sind noch erhalten. Darin bitten sie um etwas zu essen oder anzuziehen, oder einfach um eine Nachricht, was mit ihren Eltern geschehen ist. Von Lodz wurden die Kinder in Richtung Chełmno gebracht und in einem Wagen vergast.

Lidice - Kinderdenkmal
Vor dem Kinderdenkmal türmen sich Puppen und Spielzeug.

Die Frauen von Lidice wurden ins Konzentrationslager Ravensbrück gebracht, wo sie feststellen mussten, dass ihre Kinder nicht ebenfalls dort waren. Von ihnen überlebten 143 und konnten nach dem Krieg in ihre Heimat zurückkehren.

Die Häuser des Dorfes wurden zunächst niedergebrannt und dann gesprengt. Der Ort sollte vollständig vom Erdboden ausgelöscht werden. Der Name jedoch lebte weiter, zum Gedenken an die Opfer und als Mahnung, gerade auch in der heutigen Zeit.

Die Gedenkstätte: beklemmend und eindrucksvoll

Die Gedenkstätte ist von Prag aus einfach zu erreichen. Wer kein eigenes Auto hat, kann etwa den Bus Nr. 300 nehmen, der von den Straßenbahnhaltestellen Nádraží Veleslavín und Divoká Šárka nach Kladno fährt und unterwegs am Památník Lidice hält. Da sich Lidice außerhalb Prags befindet, kauft man beim Fahrer für 18 Kronen eine Anschlussfahrkarte. Die Fahrt über das Land dauert rund 15 Minuten.

Alle Beschreibungen und Filme in der Gedenkstätte sind auch auf Deutsch und Englisch verfügbar. Viele Materialien haben eine dezidiert nationalistische Ausrichtung, aber ich bin froh, dass keine verallgemeinernden anti-deutschen Ressentiments auftauchen. Was damals von Deutschen verübt worden ist, spricht auch so eine deutliche Sprache.

Das neue Lidice

Über eine Allee gelangt man zu Fuß in wenigen Minuten in das heutige Lidice, das nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst für die Überlebenden gebaut worden ist. An dem Verlauf der Straßen ist zu erkennen, dass es auf dem Reißbrett entworfen wurde. Hier finden sich eine Galerie und ein freundliches Restaurant, in dem ich sehr gut gegessen habe.

Es ist ein seltsamer Kontrast zu der beklemmenden Gedenkstätte, hier nun von der fröhlichen Kellnerin bedient zu werden, während an einem langen Tisch nebenan eine tschechische Kindergruppe ihr Mittagessen einnimmt.

Lidice
Gartentor im neuen Lidice. „Willkommen“ auf Deutsch – das hatte mich überrascht. Aber offenbar ist dies wieder möglich.

Im Zusammenhang mit Lidice soll hier auch der Ort Ležáky bei Pardubice erwähnt werden, der ebenso vernichtet wurde.

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  1. Ein vierzehnjähriger Junge war mit dabei.

Christoph Amthor

Erster länger Aufenthalt in Tschechien im Jahr 1997. Seit 2003 wohnhaft zumeist in Prag, mit Abstecher in die Slowakei. Ehemals Journalist und Mitbegründer einer gemeinnützigen Organisation, heute Blogger und Software-Entwickler.

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Von einer atemberaubenden Landschaft, über Bier und Knödel bis hin zu Kafka, dem Golem und einem Geist, der eine wissenschaftliche Karriere gemacht hat. Vom Fliegenden Ferdinand  und Pan Tau bis zur Lässigkeit, mit der dort ein Fabrikschornstein gefällt wird.

 

Über dieses Land, das einfach liebenswert, aber oft auch geheimnisvoll und extrem verrückt ist, gibt es wirklich genug zu erzählen. Und natürlich kann man darüber nur mit einer guten Portion böhmischen Humors schreiben.