Königgrätz: Zu Besuch im „Salon der Republik“

Zwei gläserne Schiffe, dazwischen Dächer wie Segel, oder Flügel: Haben die Königgrätzer Sehnsucht nach der Ferne?
Wo die Elbe rückwärts fließt: So lautete der erste Arbeitstitel zu meinen Eindrücken über Königgrätz. Ich besuche diese Stadt rund fünfmal pro Jahr, ohne je die Zeit zu haben, mich einmal gründlich umzusehen. Und zu meiner Überraschung habe ich nun festgestellt, dass hier die Elbe ganz ungewohnt von Norden nach Süden fließt. Es ist erstaunlich, wie lange man doch an einem Irrtum festhalten kann, weil man nie genau hinsieht.
Hradec Králové, wie es auf Tschechisch heißt – ist eine dieser Städte, wo ich nie weiß, welche Bezeichnung sinnvoller ist. Der deutsche Name Königgrätz ist bei uns sicher bekannter, vor allem aus dem Geschichtsunterricht.1 „Hradec Králové“ ist auch für Tschechen etwas unhandlich, weshalb es oft einfach „Hradec“ genannt wird. Ganz seltsam wird es, wenn daraus ein Prädikat wird, denn nun werden die beiden Wörter vertauscht und verschmolzen: královéhradecký. Für diesmal bleibe ich wohl bei „Königgrätz“.
Die militärische Vergangenheit ist noch in allerhand Befestigungsanlagen und Kasernen präsent, aber vor rund hundert Jahren hat sich die Stadt einen neuen Ruf als „Salon der Republik“ erworben. Verschiedene historische Perioden durchdringen und manifestieren sich Seite an Seite, bis in die heutige Zeit hinein, was etwa das Busterminal oder die Uni-Gebäude belegen.
- Am Masarykovo náměstí
- Sportanlage von „Sokol“: Gewöhnlich sehe ich nicht viel mehr von der Stadt als dieses Gebäude.
Die Stadt Königgrätz hat sichtbar in ihr Erscheinungsbild investiert: Angefangen mit der Ankunft bis hin zu den Rundgängen fand sich keine Stelle, die wirklich verkommen, schmuddelig oder sogar gefährlich wirkte. Unter den Baudenkmälern sah ich nur eines, das wirklich renovierungsbedürftig war: Ironischerweise war dies gerade die Treppe mit dem schönen Namen „Bono publico“, also etwa das „Wohl der Öffentlichkeit“. Ein symbolträchtiger Name.
Stadt der Promenaden und der Parks
Königgrätz ist rundum von sehr schön gestalteten Parks umgeben: dem am Zusammenfluss von Elbe und Adler (Orlice) gelegenen Park Jiráskovy sady und nördlich der historischen Stadt den Žižkovy sady und etwas weiter den Šimkovy sady. Zudem ist der Weg auf der Elbpromenade extrem malerisch. Somit bietet sich an, die Altstadt einmal im Westen zu umrunden, bevor man sich dann direkt an den Kern macht.
Die Parks haben dabei neben alten militärischen Befestigungsanlagen noch ein paar Besonderheiten zu bieten: In den südlichen Jiráskovy sady befindet sich die hölzerne orthodoxe Kapelle St. Nikolaus. Ursprünglich stammt sie aus der Slowakei und wurde 1935 von der Stadt gekauft.
In den Šimkovy sady wurden die Teiche durch Stege zugänglich gemacht, die ein Stück vom Ufer versetzt durch die Schilfzone führen. Ein Besuchermagnet ist auch die Rotunda, ein Pavillon mit Café, Ausschank, Spielplatz und Freisitzen.
- Eliščino nábřeží
- Jiráskovy sady
- Bronzestatue von Josef Škoda (1934), die den Zusammenfluss von Elbe und Adler symbolisiert.
- Promenade an der Adler
- Fußgängerbrücke zum Uni-Campus
- St. Nikolaus in den Jiráskovy sady
- Die Rotunde in den Šimkovy sady
- Šimkovy sady
- Begehbare Wasserfläche in den Šimkovy sady
- Šimkovy sady
- Parkeisenbahn westlich der Elbe, offenbar außer Betrieb.
Ostböhmisches Museum
Solch einen Vorlesungsraum hätte ich mir an der Uni gewünscht! Oben auf der Loge hätte man sich mit einem starken Espresso wachhalten können, während man ab und zu die Kuchengabel weglegt und ein paar Notizen in sein Heft einträgt. Das Café am Rande des Auditoriums ist ein guter Einfall, und man kommt sich in dem großen Raum keinesfalls verloren vor.
Das im Jugendstil (Sezession) erbaute Ostböhmische Museum ist ein markantes Gebäude, das einerseits wuchtig wirkt, dann aber auch wie ein Tempel. Diesen Eindruck erwecken bereits die beiden Statuen am Eingang, die für Kunst und Industrie stehen. Das Bauwerk erinnert mich an die Bremer Böttcherstraße.
- Das Museumsgebäude ist nicht zu übersehen.
- „Museum“ in der alten Schreibweise mit „s“.
- Gemessenen Schrittes zu den Toiletten.
- Ein ungewöhnlicher Raum für ein Café.
- Den Redner im Blick
Treppen und Terrassen
Das historische Zentrum der Stadt liegt wie eine Festung auf einer Art Plateau, das für Autos nur durch zwei Straßen erreichbar ist, von Westen und von Osten. Für Fußgänger ist das Zentrum zudem über Treppen zugänglich.
Rundum ist der Stadtkern von Terrassen umringt, die wie Parks angelegt und an einigen Stellen mit Brunnen verziert sind. Sehenswert ist der überdachte Treppengang Bono Publico auf der Südseite, über den man direkt auf den zentralen Marktplatz gelangt. Dieser Platz wird derzeit als Parkplatz genutzt – vielleicht um die beiden Zufahrtsstraßen gebührend auszulasten.
- Eine schöne Wetterstation
- Die Galerie der Modernen Künste
- Diese Statue zeigt den 2011 verstorbenen Architekten Alexander Pur, der das Bild der Stadt maßgeblich mit geprägt hat.
- Empfehlung: Das Café „Na kole“, also „Auf dem Rad“, am hinteren Ende des Hauptplatzes.
- Getreu dem Motto finden sich hier auch Luftpumpen.
- Die ehemalige jüdische Synagoge. Auf einem Fenster steht ganz passend: „Meet up.“
Neben dem Bono Publico gilt die Betontreppe des Architekten Josef Gočár als herausragend, der in Königgrätz eine Vielzahl an Werken hinterlassen hat. Dieser seltsame weiße Windfang befindet sich am Rand der Südterrassen.
- Zum Zentrum über Treppen und Terrassen.
- Ehemalige Kasernen und Wohnhäuser
- Bono Publico von unten
- Bono Publico
- Südterrassen
- Brunnen auf der Südterrasse
- Gočárs Treppe
- Eine der ersten und vielleicht seltsamsten Betonbauten der Stadt.
Der bunte Weiße Turm
Am Westrand des „Großen Platzes“ (Velké náměstí) steht neben der Heilig-Geist-Kirche der Weiße Turm (Bílá věž), der mit modernen Elementen renoviert und zur Besteigung hergerichtet wurde. Sein Name mag die Architekten dazu inspiriert haben, ihn als Leinwand aufzufassen, auf den sich möglichst viele Farben projizieren lassen. Der Weg hinauf führt über ein Labyrinth aus Treppen, an einer großen Glocke und Schautafeln vorbei und ist an sich schon Erlebnis genug, und der herrliche Ausblick rundum entlohnt reichlich für die Mühe.
Warum nur diese Beleuchtung, die ein wenig an Erlebnisgastronomie erinnert und zu der sich auch noch ein düsteres Wummern aus Lautsprechern gesellt, so als bewege man sich durch eine ominöse Geisterburg? Vielleicht sollte ich das nächste Mal Ohrstöpsel und Halogenstrahler mitbringen.
Im Keller befindet sich ein Plexiglasmodell, das in wechselnden Farben angestrahlt wird. Hier geht es wohl vorrangig um den Effekt, denn mehr erfährt man aus dem Modell auch nicht, als was man eben zu Fuß selbst gesehen hat.
- Der Weiße Turm von unten
- Der heutige Eingang befindet sich in einem Neubau.
- Hier wird es farbenfroh.
- Die Ausleuchtung ist Geschmackssache.
- Der Glockenstuhl in Rot und Blau: Weniger ist oft mehr.
- Endlich Tageslicht!
- Blick über den „Großen (Park-)Platz“
- Heilig-Geist-Kirche
- Im Untergeschoss steht ein irisierendes und irritierendes Modell des Turms.
Wasserkraftwerk „Hučák“
An der Elbe oberhalb des Zuflusses der Adler (Orlice) steht das Wasserkraftwerk Hučák. Es ist eines der wenigen historischen Gebäude, das die industrielle Seite von Königgrätz repräsentiert. Stilistisch passt es zu dem Ostböhmischen Museum.
Es wäre interessant zu erfahren, warum es nicht 500 Meter weiter stromabwärts gebaut wurde, so dass der Wasserdruck von beiden Flüssen genutzt worden wäre. Die Adler hat ein Stück weiter ihre eigene Staustufe, die wenige Jahre später gebaut wurde.
- Kraftwerk mit Balkon
- Hier saß wohl allabendlich der Kraftwerksdirektor mit einem Glas Bier und blickte zufrieden auf die Wassermassen hinab.
Königgrätz ist keine Stadt, die Superlative zu bieten hat, aber das ist sicher auch gut so. Sie trifft gerade die goldene Mitte zwischen Attraktivität und Ruhe. Mit maximal anderthalb Stunden Fahrtzeit von Prag eignet sie sich hervorragend für eine Tagestour für Leute, die sich einen ruhigen Tag gönnen wollen.
Hallo Herr Amthor,
vielen Dank für diesen interessanten Bericht, der fast gänzlich auch meine Eindrücke von dieser interessanten Stadt wiedergibt.
Speziell das Cafe im Muzeum fand ich auch klasse – auch weil selbst der Kellner aus den 20er Jahren (von Habitus her) zu stammen scheint 🙂
Ja, stimmt, der Kellner hat absolut dazu gepasst! Der war ein Teil der Einrichtung.
Ich warte immer darauf, dass er etwas wie „mein kleiner grüner Kaktus“ zu singen anfängt 🙂
P.S. Er ist der Besitzer/Pächter des Cafes. Unbedingt Kuchen dort probieren!!!!