Kamele, Kamelien und Kunst in Liberec (Reichenberg)

Liberec/Reichenberg, Jeschken

Am Horizont der Jeschken (Ještěd).

Ich bin in Liberec, zu Deutsch: Reichenberg. Ich kenne die Stadt flüchtig von ein paar beruflichen Reisen, bei denen ich es mir natürlich nicht habe entgehen lassen, auch ein wenig die Umgebung zu erkunden. Unter den tschechischen Städten, die ich kenne, hat Liberec ein ganz eigenes Erscheinungsbild: Geprägt von Villen und Hügeln, und immer wieder habe ich dort das Gefühl, gerade am eigentlichen Zentrum vorbei gelaufen zu sein. Neben prachtvollen Gebäuden, die vom ehemaligen Reichtum zeugen, finden sich auch viele heruntergekommene Straßenzüge.

Beim Busbahnhof sind offenbar einige alte Gebäude entkernt und miteinander zu einem Einkaufszentrum verschmolzen worden. Auch im Innern, wo ich Schutz vor dem Regen suche, habe ich ein wenig das Gefühl, dass es kein Zentrum gibt.

Markantes Wahrzeichen am Horizont ist der Fernsehturm auf dem Berg Jeschken (Ještěd), in dem sich zudem ein futuristisch anmutendes Hotel befindet. Dieser nach oben hin immer spitzer werdende Kegel lässt sich von verschiedenen Punkten der Stadt aus erkennen, heute aber ist er zumeist von Wolken umhüllt. Eigentlich habe ich Glück mit dem Wetter, denn abgesehen von einem leichten Schauer ist es bis zum Nachmittag sonnig und fast schon frühlingshaft warm.

Liberec/Reichenberg - ReisebusLiberec befindet sich im Norden der Republik, im Dreieck von Tschechien, Deutschland und Polen, und inmitten einer nationalstaatlichen Bruchzone, um es mit der Plattentektonik zu illustrieren. Die Stadt liegt rund eine Stunde von Prags Peripherie entfernt und eignet sich daher vorzüglich für eine Tagesfahrt. Neben Zügen pendeln ein bis zwei Mal pro Stunde bequeme Reisebusse mit Am-Platz-Service. Die einfache Fahrt kostet rund 4-5 Euro.

Der älteste Zoo der Republik

Zoo in Liberec/Reichenberg

Alleine im Streichelzoo.

Es gibt nur wenige Zoos, deren Besuch sich auch im Winter lohnt. Derjenige von Liberec1 wird sicher in den wärmeren Jahreszeit noch zum vollen Leben erwachen. Er kann mit einigen Attraktionen aufwarten, so etwa den weißen Tigern und überhaupt seinem Alter2, allerdings wirken die meisten Tiere, die sich heute in die Freigehege trauen, so missmutig, als würden sie aus der selben Kantine3 versorgt wie ich, als ich mir leichtsinnig eine fett- und folgenschwere Bratwurst mit einer trockenen Scheibe Brot gekauft hatte. Leichtsinnig deshalb, weil ich kaum einen Zoo getroffen habe, wo das Essen überhaupt an den üblichen Imbissbudenstandard heranzureichen vermochte. Aber immerhin habe ich mit dem Kauf die Tiere unterstützt, wie mir auf Schildern versichert wurde. Ein gutes Gefühl zumindest oberhalb der Magengegend.

Der älteste botanische Garten, und vielleicht der schönste

Botanischer Garten in Liberec/ReichenbergDen Zoo habe ich eigentlich nur in nostalgischer Erinnerung an frühere Zoobesuche in mein Programm mit aufgenommen. Eigentlich ging es mir um den Botanischen Garten, der von dort aus gleich ums Eck liegt. Anders als beim Zoo befindet sich hier jedoch der Eingang ganz sinnvoll auf der stadtzugewandten Seite.

Der Jahreszeit entsprechend habe ich die Außenanlagen links liegen lassen und mich gleich auf die Pavillons gestürzt, die das Vorzeigestück dieses Gartens ausmachen. Auch der Botanische Garten hier ist der älteste der Tschechischen Republik, er wurde nämlich schon zu Reichenberger Zeiten angelegt – vor rund 140 Jahren. Die Pavillons jedoch sind relativ neu und beherbergen Pflanzen und Landschaften unter verschiedenen klimatischen Bedingungen.

Obwohl es sicher nicht nur für Tschechien zutrifft, ist mir erst hier aufgefallen, welche Kunstwerke des Landschaftsbaus sich in botanischen Gärten – und übrigens auch Zoos – verbergen können. Dabei scheinen die Schöpfer gerade bei der Gestaltung der Innenanlagen völlig aufzublühen, um es einmal botanisch auszudrücken. Und vielleicht spielt hier auch eine gewisse Sehnsucht der Schöpfer nach fernen oder harmonischen Welten eine Rolle, ähnlich wie auch bei vielen Betreibern von Modellbahnanlagen.

 

Der Botanische Garten von Liberec ist wirklich schön gestaltet, sowohl in seiner Gesamtheit, als auch in jedem Detail. Sogar die Aquarien sind eine echte Augenweide und dienen nicht bloß als Becken für die Wasserpflanzen. Besonders gelungen ist dabei der leicht verdunkelte Raum in der Mitte der Pavillons, in den man durch einen gläsernen Torbogen unter dem Wasser hindurch eintritt. Mir kam dieser Raum voller farbenfroher Aquarien wie das Herz der ganzen Anlage vor: im Innern das Wasser und von außen das Licht.

Die neun Pavillons sind miteinander verbunden, man tritt durch sie hindurch wie auf einer zeitgerafften Weltreise. Dann geht man eine Treppe hinauf und kann auf die selben Landschaften noch einmal von oben herab blicken.

Den Höhepunkt bildet ein kleiner Garten aus alten Kamelienbäumen, zu deren Füßen sich ein Teich mit japanischen Zierkarpfen erstreckt. Diese Kamelien sind vermutlich zwar nicht die ältesten Europas,4 aber erst hier durfte ich erstmals echte Kamelienblüten sehen. Der Anblick der blütengespickten Baumkronen über dem Teich mit den schwarz-rot-weiß gemusterten Karpfen ist etwas, dass man so häufig nicht zu sehen bekommt.

Botanischer Garten in Liberec/Reichenberg

Kunstgenuss im Badehaus

Nach dem Botanischen Garten habe ich mir noch das Museum der Europäischen Kunst gegönnt, da mich allein schon das Gebäude fasziniert hat: In dem ehemaligen Badehaus5 vom Beginn des 20. Jahrhunderts sind jetzt eine Galerie und ein Café untergebracht. Bemerkenswert ist das 20 x 10m große frühere Schwimmbecken in der Haupthalle, das mit Milchglas abgedeckt wurde und dessen Innenraum nun durch das Untergeschoss zugänglich ist und als Ausstellungsraum dient.

Zu finden sind hier vor allem tschechische Künstler des 20. Jahrhunderts, daneben aber auch deutsche, österreichische, französische und holländische Werke. Die Auswahl ist durchaus bedeutend und zeigt den Widerhall internationaler Strömungen in der Tschechoslowakei selbst zur Zeit des Eisernen Vorhangs.6

Die Reichenberger7 haben bei mir immer einen sehr freundlichen Eindruck hinterlassen. In der Kunstgalerie wird mir vom Personal auf jeder Etage die Tür geöffnet. Nach meiner Erfahrung sind die Tschechen außerhalb Prags allgemein freundlicher und entspannter als in der geschäftigen Hauptstadt, wo es immer etwas mehr Zeit braucht, um das Misstrauen abzubauen.

Liberec/Reichenberg - ehemaliges Bad

Hier wurde gerade umgebaut, ich durfte aber fotografieren.

Liberec

Straßenbahn mit Normalspur und Meterspur

Liberec ist eine Stadt, deren Kern sich in vielen Schichtungen verbirgt, die nur allmählich hervortreten. Mir ist klar, dass ich an diesem Tag nur ein paar bestimmte Aspekte erfahren habe, zumal ich ja nur zu Fuß in wenigen Stadtteilen unterwegs war.

Bei meinem letzten Besuch etwa bin ich auf eine beeindruckende Ausstellung von Samuraischwertern im Nordböhmischen Museum gestoßen – wer hätte eine solch hochkarätige Ausstellung über ein derart exotisches Thema in dieser Stadt von knapp über 100 Tausend Einwohnern erwartet?

 

Zeige 7 Fußnoten

  1. Die englische Version der Homepage befindet sich offenbar noch in Arbeit, den lateinischen Platzhaltertexten nach zu deuten.
  2. Er ist der älteste der Republik.
  3. Sämtliche Buden, Stände und Cafés waren geschlossen.
  4. Nicht weit entfernt, in Pillnitz bei Dresden steht eine sehr alte Kamelie.
  5. Kaiser Franz Joseph Bad
  6. Während ich es schreibe, überlege ich mir, ob sich nicht gerade Kunst der Einteilung in Nationalitäten widersetzt. Strömungen, Künstler, Rezipienten, Sammler – kaum irgendwo bildeten nationale Grenzen wirkliche Hindernisse, außer dass sie gewaltsam erzwungen wurden.
  7. „Liberecaner“ klingt doch etwas seltsam.

Christoph Amthor

Erster länger Aufenthalt in Tschechien im Jahr 1997. Seit 2003 wohnhaft zumeist in Prag, mit Abstecher in die Slowakei. Ehemals Journalist und Mitbegründer einer gemeinnützigen Organisation, heute Blogger und Software-Entwickler.

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Von einer atemberaubenden Landschaft, über Bier und Knödel bis hin zu Kafka, dem Golem und einem Geist, der eine wissenschaftliche Karriere gemacht hat. Vom Fliegenden Ferdinand  und Pan Tau bis zur Lässigkeit, mit der dort ein Fabrikschornstein gefällt wird.

 

Über dieses Land, das einfach liebenswert, aber oft auch geheimnisvoll und extrem verrückt ist, gibt es wirklich genug zu erzählen. Und natürlich kann man darüber nur mit einer guten Portion böhmischen Humors schreiben.