Jablonec (Gablonz) – Stadt des Glaskunstwerks und der Bijouterie

Jablonec-Gablonz - Wäsche

Der Wetterbericht sagt -3°C und Schnee voraus. Im Isergebirge ist es ein wenig kälter als daheim in Prag, wo wir heute über Null bleiben.

Im Bus sitzen weniger als zehn Reisende. Die Fahrt ist angenehm. Draußen ist ein grauer Morgen, keine solch malerische Dämmerung wie Tags zuvor. Der Fahrer schaltet die Kabine auf Nachtbeleuchtung um, blaue Lampen glimmen von der Decke. Im Schaukeln und Wiegen dämmere ich im Halbschlaf dahin.

Nach etwas über einer Stunde Fahrt bin ich in Liberec (Reichenberg). Von dort aus fährt die Linie 11 alle 15 Minuten nach Jablonec nad Nisou (Gablonz an der Neiße). Wir fahren in einer Schmalspurstraßenbahn, die überraschend modern ausgestattet ist. Fahrkarten lassen sich kontaktlos mit Karte im Wagen kaufen.

Zunächst geht es durch das hügelige Liberec, an Villen vorbei und an Ruinen. Dann fahren wird durch ein Tal und passieren alte Industriebetriebe. Die Strecke wird immer kurviger, windet sich an Felsen vorbei, durch Dörfer und über Brücken. Nach rund 30 Minuten erreichen wir schon die Endstation, Jablonec. Hier liegt deutlich mehr Schnee. Die Wege sind freigeräumt, der Schnee türmt sich in gepressten Stücken an den Rändern.

Jablonec wirkt auf der Karte weitläufig, vor Ort ist es aber eine Stadt der Gehentfernungen. Das ist auch gut so, denn die Straßenbahn kommt nur hierher, um gleich wieder nach Liberec zurück zu fahren. Im Ort fahren sonst nur Busse.

Natürlich gibt es auch in Jablonec einen Weihnachtsmarkt, der sich im Schnee wirklich gut macht. Ein Kinderchor trägt etwas vor, was niemand hört, aber die alten Damen im Publikum sind trotzdem ganz hin und weg. Ein Spanferkel ist von Qualm umhüllt, hin und wieder schießt auf dem Grill eine Flamme empor und auch der Glühweinduft ist unverkennbar.

Jablonec-Gablonz - Museum

Ich besuche zuerst das Museum für Glas und Bijouterie. Die internationale Ausrichtung ist gleich erkennbar: Texte und Beschriftungen sind fast alle auch auf Englisch. Farben, Muster und Methoden enthüllen eine überraschende Vielfalt. Das wäre mir nie eingefallen, was alles an Produkten mit dazu gehört. Es geht von Knöpfen und Perlen über Diademe und Schnupftabakdeckel bis hin zu Armreifen und Kettenvorhängen.

Jablonec-Gablonz - Museum

So unbedeutend Jablonec – oder das frühere Gablenz – auf einer Europakarte erscheinen mag, seit dem 19. Jahrhundert hat es sich doch einen internationalen Ruf als Stadt der Glaskunst und der Bijouterie erworben. Von einer Phase zur Zeit der Planwirtschaft abgesehen operieren hier fast nur kleine Betriebe. Verschiedene Erfindungen, Designs oder Spezialisierungen sind zumeist mit bestimmten Namen verbunden.

Jablonec ist seit 1993 zudem offizielle Münzstätte der Republik. Neben Kursmünzen (für den Zahlungsverkehr) werden hier auch Gedenkmünzen und Medaillen geprägt.

Jablonec-Gablonz, Gehweg nach dem Schneepflug
Kinderwagen und Rollstuhl kannst du hier vergessen.

Es schneit wieder. Die Räumfahrzeuge schieben den dreckigen Schnee kraftvoll von der Straße auf die Gehwege. Ich bringe mich rechtzeitig in eine Einfahrt in Sicherheit, aber der Fußweg wird nun zur Wanderung über ein Geröllfeld aus gepresstem Schnee und Eisstücken.

Immer wieder muss ich die Hände aus den warmen Handschuhen ziehen, um auf dem Handy den Weg zu überprüfen.

Miniaturen aus Glas

Michal Preisler hat seine Werkstatt am Stadtrand in der Nähe des Bahnhofs „Jablonecké Paseky“. Unter dem Schnee ragen alte Villen und die typischen quer gestreiften Hütten der früheren Sudetengebiete heraus. Gegenüber erheben sich ein paar Plattenbauten den Hang hinauf.

Seit rund 25 Jahren ist Preisler selbständig. Angefangen hatte er mit kleinen Tierfiguren, deren glatte, geschwungene Körperchen aus verschiedenen Farben bestehen. Dann hat er Personen gestaltet und ganze Ensembles erstellt, wie etwa Orchester, tanzende Trachtengruppen oder gläserne Krippen.

Seine Spezialität sind heute filigrane Ballerinen und farbige Glöckchen, die einen klaren, hellen Ton von sich geben. Beide werden ähnlich hergestellt. Dieser Trichter des Kleides oder der Glocke erfordert eine bestimmte Technik, die Preisler von einem älteren Kollegen erlernt hat. Die Glöckchen haben eine interessante Oberflächenstruktur, die sich angenehm anfühlt.

Jablonec-Gablonz - Glasfiguren

Ich darf ihm bei der Arbeit zusehen und sogar Fotos machen. Wie er mir erzählt, sind Besucher bei ihm willkommen, um ihm über die Schulter zu sehen und natürlich auch Produkte zu kaufen. Die meisten davon verkauft er aber immer noch über touristische Läden, vor allem in Prag.

Momentan arbeitet er an einer größeren Bestellung von Glöckchen in verschiedenen Farben, die ein Hotel an seine Kunden verteilen will. Die fertigen Glöckchen reihen sich bereits in Eierkartons.

Jablonec-Gablonz - Glasglöckchen

Die Rückfahrt wird ein wenig schlauchend. Ich fahre mit der Straßenbahn zurück nach Liberec und gehe zum Busbahnhof, wo die Warteräume in Containern untergebracht sind. Ich warte lieber im nahen Hauptbahnhof, wo es warm ist und bis 18 Uhr sogar ein kleines Café geöffnet hat.

Jablonec-Gablonz - Park
Tyrš-(Tiersch-)Park in Jablonec

Dann erhalte ich von der Busgesellschaft eine SMS, die besagt, dass der Bus, der aus Danzig kommt, 25 Minuten Verspätung hat. Ich gehe rechtzeitig zur neuen Abfahrtszeit zum Busbahnhof. Während ich in der Kälte warte, kommt die nächste SMS: 70 Minuten Verspätung. Zehn Minuten vor dem Eintreffen scheint der Fahrer also darauf gekommen zu sein, dass es nun genau 70 Minuten sein müssen. Er muss unmittelbar vor der Stadt festsitzen.

Ich pfeife auf das Ticket, fluche still auf Tschechisch und buche am Handy bei der Konkurrenz. Die Abfahrt ist in zehn Minuten. Abgesehen von einer älteren, osteuropäischen Sitznachbarin, die immer wieder ihren Ellbogen auf meine Seite ausdehnen muss, um auf ihrem Handy texten zu können, verläuft der Rest der Reise glatt.

Museum

Museum für Glas und Bijouterie in Jablonec nad Nisou
U Muzea 398/4
Webseite

Glaswerkstatt

Michal Preisler
Pod Tratí 2
Webseite (Besuche nach Vorankündigung)

Es gibt noch eine ganze Reihe weiterer Werkstätten und Fabriken. Du könntest etwa auf den Seiten der Stadt suchen.

Einband des Tschechien-Buches

Dieses Thema findet auch Erwähnung in meinem Buch „111 Gründe, Tschechien zu lieben“.

Erhältlich ist es im Buchhandel.

Leseprobe

Christoph Amthor

Erster länger Aufenthalt in Tschechien im Jahr 1997. Seit 2003 wohnhaft zumeist in Prag, mit Abstecher in die Slowakei. Ehemals Journalist und Mitbegründer einer gemeinnützigen Organisation, heute Blogger und Software-Entwickler.

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111 Gründe, Tschechien zu lieben ❤️

Einband des Tschechien-Buches

 

Von einer atemberaubenden Landschaft, über Bier und Knödel bis hin zu Kafka, dem Golem und einem Geist, der eine wissenschaftliche Karriere gemacht hat. Vom Fliegenden Ferdinand  und Pan Tau bis zur Lässigkeit, mit der dort ein Fabrikschornstein gefällt wird.

 

Über dieses Land, das einfach liebenswert, aber oft auch geheimnisvoll und extrem verrückt ist, gibt es wirklich genug zu erzählen. Und natürlich kann man darüber nur mit einer guten Portion böhmischen Humors schreiben.