Gedanken über einen rätselhaften Zeppelin

Zeppelin Gulliver, DOX in Prag

Der Anblick ist beeindruckend: Ein Zeppelin scheint auf dem Dach der Galerie gestrandet zu sein. Ein wenig schräg hat er sich auf den quaderförmigen Klötzen des ehemaligen Fabrikgebäudes niedergelassen.

Zeppelin Gulliver, DOX in Prag

Obwohl die Form an ein Luftschiff angelehnt ist, wirkt das Gebilde trotzdem nicht wie ein technisches Fluggerät, sondern eher wie ein organischer Körper, wie eine längliche Kapsel, die sich von einem gigantischen Baum losgerissen hat und die der Wind zufällig auf dieses Dach getragen hat.

Dieser Eindruck bleibt beherrschend: Das mysteriöse Ding widersetzt sich beständig jeder Einordnung in das Bekannte und Verständliche.

Wenn ich im Innenhof nach oben blicke, wirkte der Zeppelin noch groß und massiv, aber nun, auf der Dachterrasse näher kommend, erkenne ich die filigranen Strukturen. Die gewölbten Wände bestehen aus einem dichten hölzernen Gerippe. Überraschenderweise ruft es im schrägen Licht der Sonne jedoch die Illusion einer metallisch schimmernden Oberfläche hervor. Optisch gehen hier Holz und Metall ineinander über.

Zeppelin Gulliver, DOX in Prag

Zeppelin Gulliver, DOX in Prag

Ein verwirrendes Wechselspiel aus Strukturen und Schatten.

Ganz extrem ist der Übergang zu spüren, als ich in das Innern eintrete: Die mit Drahtseilen verspannten Wände wirken nun fast schon zerbrechlich und der ganze Körper erstaunlich leichtgewichtig. Erst hier kommt mir der Gedanke, dass bereits ein sanfter Luftstoß die Hülle aufnehmen und ein paar hundert Meter weiter tragen könnte.

Obwohl der Boden eben und fest ist und selbst unter den Schritten kein bisschen schwingt, fehlen hier in diesem länglichen Raum fast völlig geometrische Orientierungshilfen. Alles wirkt verdreht, gedehnt, verzogen. Der Eindruck des Organischen und Gewachsenen ist vorherrschend. Dennoch ist der Körper funktional und einfach, ohne Auswüchse und Verzierungen.1

Zeppelin Gulliver, DOX in Prag

Blick vom Innern zum Ende

 

Das Luftschiff „Gulliver“ hat erst kürzlich den roten Schädel ersetzt, der um den Turm der Galerie DOX rotierte und fast schon zu deren Wahrzeichen geworden war. Gestern Abend konnte er als Teil des Events „Máme otevřeno 2017“2 kostenlos3 besucht werden. Gulliver wurde vom Architekten Martin Rajniš entworfen, ist 42 Meter lang und 10 Meter breit. Die Form soll ein wenig die Euphorie der Zeit der Zeppeline wachrufen, als sich Menschen in die Lüfte erhoben und gemächlich in ferne Kontinente entschwebten. Das Innere kann als Veranstaltungsraum für Vorträge und Vorführungen genutzt werden.

Zeige 3 Fußnoten

  1. Etwas störend, aber vermutlich unvermeidlich, ist die Glasumhüllung auf der Oberseite, ohne die der Eindruck noch viel stärker wäre.
  2. „Wir haben geöffnet“
  3. Als Blogger wird einem diese Vergünstigung beim DOX sonst verweigert, was ich als unnötig geizig empfinde.

Christoph Amthor

Erster länger Aufenthalt in Tschechien im Jahr 1997. Seit 2003 wohnhaft zumeist in Prag, mit Abstecher in die Slowakei. Ehemals Journalist und Mitbegründer einer gemeinnützigen Organisation, heute Blogger und Software-Entwickler.

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Von einer atemberaubenden Landschaft, über Bier und Knödel bis hin zu Kafka, dem Golem und einem Geist, der eine wissenschaftliche Karriere gemacht hat. Vom Fliegenden Ferdinand  und Pan Tau bis zur Lässigkeit, mit der dort ein Fabrikschornstein gefällt wird.

 

Über dieses Land, das einfach liebenswert, aber oft auch geheimnisvoll und extrem verrückt ist, gibt es wirklich genug zu erzählen. Und natürlich kann man darüber nur mit einer guten Portion böhmischen Humors schreiben.