Ein Wochenende in Třebíč
Ich sitze im Schnellzug nach Brünn. Der Zug wirkt wie einer der neueren Nahverkehrszüge, mit abgestuften Sitzgruppen in einem großen Raum. In der Gepäckablage steht ein abgenutzter Korb. Ein schöner Kontrast zu dem modernen Ambiente.
Für dieses Wochenende geht es nach Třebíč1 (Trebitsch) im südwestlichen Mähren. Die St.-Prokop-Basilika und das jüdische Viertel mit dem jüdischen Friedhof, die im Jahr 2003 als UNESCO-Kulturerbe anerkannt worden sind, haben dieser Stadt zu einiger Bekanntheit verholfen.
Dieser Titel bringt in vielen Orten Ströme an Touristen mit sich, die in Bussen angekarrt werden, um sich dann auf Selfies hauptsächlich selbst zu fotografieren. Die Sommersaison ist allerdings schon zu Ende, und außerdem liegt Třebíč – von Prag aus gesehen – verkehrstechnisch etwas ungünstig. Wohl auch deshalb ist es hier erstaunlich ruhig.

Ihre schwer erreichbare Lage scheinen viele der tschechischen UNESCO-Städte gemein zu haben. Wenn man sie auf der Karte betrachtet, sind sie alle in diesem Rechteck im Süden des Landes versammelt.
In Brünn steige ich in einen anderen Zug, dessen Bahnsteig außerhalb des üblichen Bahnhofs liegt. Den zu finden ist nicht ganz einfach. Auf eher unscheinbaren Zetteln wird darauf hingewiesen, dass man um die Post herum gehen muss.
Das letzte Stück nach Třebíč ist landschaftlich sehr schön. Da es im Zug keine Ansagen gibt, muss ich mich auf Uhrzeit und Bahnhofsschilder verlassen, um richtig auszusteigen.
Třebíč liegt beidseitig des Flüsschens Jihlava (Igel), das nicht zufällig wie die Stadt Jihlava – auf Deutsch Iglau – heißt, denn es fließt auch durch sie hindurch. Die Stadt erinnert mich ein wenig an ein geöffnetes Buch, mit der Jihlava im Falz.
Vom Bahnhof kommend gehe ich zunächst die Straßen bergab. Fast die gesamten Sehenswürdigkeiten befinden sich auf der anderen, der nördlichen Seite.
Die Stadt ist wirklich nicht sehr groß und vielleicht reicht auch ein halber Tag zur Besichtigung. Falls man die Führungen mitmachen will, muss man allerdings die Zeiten koordinieren.
Bei meiner Ankunft findet gerade ein Folklorefestival statt. Die Tanz- und Musikgruppen kommen auch aus dem Ausland. Überall stehen Kinder und Jugendliche in farbigen Trachten umher. In einem Hinterhof werden mährische Lieder gespielt, zu denen passend Burčák2 verkauft wird.
Ein spätsommerliches Eis? Selbst im Stadtturm sieht man Trachten. Turm von St. Martin mit Aussichtsgalerie Blick vom Turm
An vielen Orten gibt es kleine Cafés, allerdings ist es schwer, irgendwo eine leichte Speise zu finden, die nicht aus Kuchen besteht. Auf tschechischen Döner oder ein Kantinen-Gulasch habe ich keinen Appetit. Der Tourismus entpuppt sich nun jedoch als Segen, da viele Betriebe selbst am Wochenende geöffnet haben. Das ist in Städten dieser Größe durchaus keine Selbstverständlichkeit.
Christlicher Teil
Sehr sehenswert ist die romanische und gotische Basilika St. Prokop, in die man auch ohne Führung hinein darf. Die etwa 40-minütige (tschechische) Führung lohnt sich dennoch, da ich hier noch viele zusätzliche Informationen erhalte. Für andere Sprachen werden Informationsblätter ausgegeben.
Bemerkenswert sind etwa die Wände im Hauptschiff, die nach oben hin sichtbar vom Gewölbe auseinander gedrückt worden sind (um 1,5 Meter). Besonders ist auch das Gewölbe im Chor, dessen Bögen in den Wänden beginnen, also nicht auf Säulen.
Mit der Führung gelangen wir in eine Kapelle mit bedeutenden Wandmalereien und in die Krypta, die ebenfalls mehr zu bieten hat als gewöhnliche Krypten.
Weg hinauf zur Basilika Nordeingang der Basilika Nördliches (Paradies-)Tor Gewölbe im Chor der Mönche Loge für die Familie Waldstein Kapelle Kapelle Holz im Gewölbe der Krypta Krypta ungewöhnliche zehnblättrige Rosetta Basilika
Die Basilika ist heute Bestandteil eines Schlosses, das aus einem früheren Benediktinerklosters hervorgegangen ist, welches im Jahr 1101 gegründet worden ist. Besonders zu empfehlen ist sie für barockmüde Tschechienreisende. Hier geht es einfach etwas weniger verspielt zu.
Jüdischer Teil
Das frühere jüdische Viertel (oder Ghetto) und den Friedhof habe ich vor allem dem Sonntag vorbehalten, da samstags (also am Sabbat) einige jüdische Einrichtungen geschlossen bleiben. Das Viertel liegt direkt am Fluss und ist daher hochwassergefährdet. Einige Häuser wirken baufällig, andere sind renoviert.
Anders als etwa in Krumau sind hier nicht nur Hotels, Restaurants, Galerien und Souvenirläden anzutreffen. Hier leben noch viele ursprüngliche Bewohner, die schon vor den Touristen da waren. Sie sitzen in den Kneipen oder schauen aus den Fenstern auf die Gäste herab.
Weil es hier keine Tagestouristen aus Prag gibt, ist es auch kein Problem, eine leere Gasse zu fotografieren. In Krumau wäre das nur bei Nacht möglich.
Links das jüdische Viertel. „Vordere Synagoge“, heute eine Kirche Die Mittelachse des Viertels ist am belebtesten. Café Art Mitte September wirkt alles schon sehr herbstlich. Oft wird hier auf engstem Raum gebaut. Beim „Hotel Joseph 1699“ „Stolperstein“ Turm der früheren Gerberei
In diesem Viertel stehen zwei Synagogen, von denen die „vordere“ jetzt von der hussitischen Kirche genutzt wird und geschlossen ist. Die „hintere“ kann dagegen besichtigt werden (mit oder ohne Führung, die auf Englisch verfügbar ist).
Das Gebäude ist wirklich außergewöhnlich schön. Auf der Innenmauer befinden sich hebräische Texte und Verzierungen, darunter Tierdarstellungen, was in Synagogen eher selten ist. Ob sich die Baumeister von der mährischen Folklore hatten inspirieren lassen?
Oberhalb dieser Gassen beginnt der Aufstieg über zahllose Treppchen und Steige den Hang hinauf. Eigentlich schon jenseits der Kuppe, wo es wieder hinab geht, liegt der jüdische Friedhof. Mit rund 3000 Grabsteinen hat er eine beachtliche Größe. Er wirkt sehr viel geordneter als der berühmte Friedhof im Prager jüdischen Viertel, denn hier stand ein großes Areal zur Verfügung. Der Unterschied zwischen Klein- und Großstadt zeigt sich selbst bei den letzten Ruhestätten.
Übernachtung
Angesichts der viereinhalb Stunden Fahrt habe ich mich entschlossen, eine Übernachtung mit einzuplanen.
Dafür habe ich mir ein Zimmer in einer früheren Mühle reserviert, was einen herrlichen abendlichen Fußweg mit sich bringt, der andererseits aber auch nicht ganz kurz ist und manchmal ein wenig Suchen erfordert, um die Fortsetzung zu finden. Glücklicherweise komme ich noch vor Einbruch der Dunkelheit an.3
Das Gebäude dort ist schön situiert in der Natur, allerdings herrscht im Innern doch eher eine Wohnzimmeratmosphäre, also nicht das erhoffte Mühlenflair. Aber die Leute dort sind sehr nett und die Ausstattung ist auch gut, darum will ich mich nicht beklagen.
Weg am Fluss entlang Die Wege sind hier, wie gewohnt, gut gekennzeichnet. Flussbad, gestaltet im Jahr 1933 von Bohuslav Fuchs Windmühle, in der zum Gerben benötigte Rinde gemahlen wurde. Eisenbahnbrücke über ein Nebental
Auf dem Weg zurück am Sonntagmorgen muss ich am städtischen Schießplatz vorbei, wo offenbar die „großen Jungs“ die Sau rauslassen und ihre größeren Kaliber feuern dürfen, bis die Läufe glühen. Die nicht enden wollenden Salven sind noch bis fast ins Zentrum hinein zu hören.