Ein Land in Quarantäne: Eindrücke aus Prag

Sieben Grad Celsius, es ist ein frühlingshafter Tag, ein Samstag. Ich rupfe etwas Unkraut aus den Blumentöpfen auf dem Balkon, bis es mir dann doch zu kühl wird.

Es ist der zweite Tag, seit die tschechische Regierung den Notstand ausgerufen hat. Die Anordnungen überstürzen sich.

Am Donnerstag noch wehrte sich der Premier Andrej Babiš gegen die Behauptung, die auf Facebook kursierte, dass demnächst alle Geschäfte geschlossen würden. Nichts davon sei wahr, und es sei auch nicht geplant.

Freitagnacht gab dann die Regierung bekannt, dass von Samstag 6 Uhr morgens an für zehn Tage alle Geschäfte und Restaurants geschlossen bleiben müssen. Es gibt ein paar Ausnahmen, wie etwa Apotheken, Drogerien, Lebensmittelläden und Tankstellen.

Coronavirus in Prag: leeres Café
13. März: Im Coffeeshop ist es ruhiger als sonst

Die Grenze ist ebenfalls geschlossen, oder zumindest nur in eine Richtung passierbar. Ausländer dürfen raus und Tschechen rein, müssen aber in Quarantäne, wenn sie aus einem der Risikoländer kommen. Zu denen gehören auch die deutschsprachigen Nachbarn. In einem geschlossenen Land zu leben ist ein ganz eigenes Gefühl.

Auf einer Tabelle des Innenministeriums ist zu lesen, dass man als Ausländer, der hier seinen Wohnsitz hat, zwar aus dem Land hinaus darf, aber nicht wieder hinein. Wenn man aber zuvor nicht ausgereist ist, dann darf man, wie seine tschechischen Nachbarn, durchaus einreisen. Das ergibt für mich zwar keinen Sinn, aber zur Zeit sind wohl ohnehin Improvisation und Geduld gefragt, statt logischer Erwägungen.

Am Dienstag noch wurden alle Veranstaltungen von mehr als 100 Personen verboten, am Freitag betrug die Maximalzahl schon 30 und am Samstag Null. Ab Freitag durften Lokale nur noch bis 20 Uhr öffnen, ab Samstag schon gar nicht mehr.

Warum diese schrittweise Verschärfung? Und warum werden die Maßnahmen nicht ein paar Tage im voraus angekündigt? Will man verhindern, dass das Virus vorgewarnt ist?

Prag, gelassen im Ausnahmezustand

Ich gehe eine Runde durch das Viertel. Von den Baustellen her ertönt das Stampfen und Rattern der Maschinen. Die Straßenbahn fährt nicht, weil die Schienen repariert werden. Ich warte nicht erst auf den Ersatzbus sondern gehe zur nächsten Haltestelle, wo die Bahn wieder fährt.

Jetzt würde es dramaturgisch passen, wenn es hier gespenstisch leer wäre, aber nichts dergleichen ist der Fall. Die Prager Straßen sind eigentlich nicht leerer als jedes Wochenende. Ein junger Mann trägt zum schwarzen Hut ein längliches, weißes Tuch über Mund und Nase, was ein wenig an die Schnabelmasken zur Zeit der Pest erinnert. Sonst ist nichts Auffälliges zu bemerken.

Allerorten sind die Motorräder der Lieferservices unterwegs. Pizza ist zur Zeit wohl der Renner schlechthin. In den Cafés ist es dunkel und die Stühle stehen auf den Tischen. An vielen Eingängen wurden spontan Theken errichtet, an denen Heißgetränke zum Mitnehmen verkauft werden.

Die Apotheke am Eck gibt bekannt, dass man hier weder Mundschutz noch Thermometer oder Desinfektionsmittel bekommt. Da hat sich wohl jemand eingedeckt und nimmt nun jeden Tag ein keimfreies Vollbad, mit Mundschutz und Thermometer im … irgendwo.

Nostalgie gewünscht?

Beim Fußweg zurück fallen mir ein paar entgegen kommende Passanten auf, die dicht am Zaun oder am Straßenrand entlang gehen, so als wollten sie den größtmöglichen Abstand halten. Vielleicht fürchten sie, dass ich sie plötzlich über zwei Meter hinweg in einer gewaltigen Fontäne anniesen könnte.

Im Internet scherzt man, dass jetzt die Generation der in den 90er Jahren Geborenen auch einmal erleben könne, wie es zur Zeit des Eisernen Vorhangs war. Ganz so extrem ist es vielleicht nicht, denn die Regale sind ja noch voll. Immerhin ist es aber doch so, dass der Staatsnotstand, der nun gilt, eine starke Einschränkung von Bürgerrechten zur Folge hat.

Es wird sich zeigen, wie die tschechische Bevölkerung zehn Tage mit Bier aus dem Supermarkt leben kann. Schlimmer noch dürfte es für viele Gewerbetreibende werden, die jetzt völlig unvorbereitet zehn Tage oder sogar einige Wochen ohne Einkünfte überstehen müssen. Hoffentlich bringt die landesweite Quarantäne zumindest etwas zur Eindämmung der Infektionen und zur Entlastung des Gesundheitssystems. Es wäre wirklich zu wünschen.

Christoph Amthor

Erster länger Aufenthalt in Tschechien im Jahr 1997. Seit 2003 wohnhaft zumeist in Prag, mit Abstecher in die Slowakei. Ehemals Journalist und Mitbegründer einer gemeinnützigen Organisation, heute Blogger und Software-Entwickler.

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2 Antworten

  1. Christian Fränkel sagt:

    Herr Amthor, wie ist denn der aktuelle Stand? Wie lebt es sich mit Maske & sonstigen Einschränkungen? Wie gehen die Tschechen damit um?

    • Hallo, aktuell wurden kürzlich ein paar Regeln gelockert. An die Maske gewöhnt man sich ziemlich schnell, da ohnehin jeder sie trägt. Das Problem ist nur, dass die Brille leicht beschlägt und man nicht so gut atmen kann. Die Leute hier müssen viel improvisieren, also das Bier wird an der Tür der Brauerei am Fenster gekauft und dann auf der Mauer sitzend getrunken. Selbst Masken für Ärzte und Pflegepersonal wurden von einer Hochschule im 3-D-Drucker erstellt und durch eine öffentliche Sammlung finanziert. Die Stimmung ist eine wechselnde Mischung aus verhaltener Panik, Solidarität, Genervtheit und Verständnis. Ansonsten funktioniert alles, Supermärkte sind gut bestückt – zumindest in Prag. Also, man kommt zurecht, aber hoffentlich dauert es nicht ewig.

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Von einer atemberaubenden Landschaft, über Bier und Knödel bis hin zu Kafka, dem Golem und einem Geist, der eine wissenschaftliche Karriere gemacht hat. Vom Fliegenden Ferdinand  und Pan Tau bis zur Lässigkeit, mit der dort ein Fabrikschornstein gefällt wird.

 

Über dieses Land, das einfach liebenswert, aber oft auch geheimnisvoll und extrem verrückt ist, gibt es wirklich genug zu erzählen. Und natürlich kann man darüber nur mit einer guten Portion böhmischen Humors schreiben.