Dinge des Alltags: Gelbe Kringel an den Taschen
Wer in Tschechien auch nur ein paar Minuten auf Straßen, in Bussen oder Bahnen unterwegs ist, dem sind sie bestimmt schon einmal aufgefallen: gelb oder manchmal grün reflektierende, flache Ringe, die an Trageriemen und Griffen von Taschen hängen. Ich habe sie in dieser Fülle bislang nur in Tschechien erlebt, und hier tragen sie selbst Senioren, die sonst eher durch ihr todesmutiges Verhalten im Straßenverkehr auffallen, als dass sie auch nur eine Krone in die Verkehrssicherheit investieren würden.
Diese gelben Kringel sind hier unglaublich häufig. In Prag kann ich an ihnen zielsicher die Einheimischen erkennen, denn kein Tourist trägt so etwas. Ja, und irgendwann hatte ich sogar selbst so einen Kringel in der Tasche. Weil es hier nämlich kaum andere Reflektoren zu kaufen gibt.
Was also hat es mit diesen gelben Kringeln auf sich und warum erfreuen sie sich dieser enormen Beliebtheit?
Das Gesetz
Seit 2016 gilt in Tschechien ein Gesetz, das die Zahl von Unfalltoten unter Fußgängern verringern sollte. Demnach muss ein Fußgänger, der sich außerhalb geschlossener Ortschaften bei verminderter Sicht an einer Fahrbahn entlang bewegt, wo sich keine öffentliche Straßenbeleuchtung befindet, Reflektoren tragen, so dass sie für andere Verkehrsteilnehmer sichtbar sind. 1
Bevor die Polizisten anfingen, ihren Block zu zücken, verteilten sie eine viertel Million Reflektorbänder an Fußgänger, die im Dunkeln erwischt wurden, die also zu dunkel waren, um den Vorschriften zu genügen, aber nicht dunkel genug, um den Augen der Gesetzeshüter zu entgehen. In einem Land von knapp über 10 Millionen Einwohnern, wo außer Rentnern, Obdachlosen und Kindern so gut wie jeder motorisiert ist, bilden 250 000 reflektierende Fußgänger einen beachtlichen Anteil. Bei ihrer Arbeit kam der Polizei sicher auch das „Buffet-Gesetz“ zu Hilfe, welches lautet: Lehne nie etwas ab, was dir kostenlos angeboten wird, auch wenn du es eigentlich gar nicht haben willst.
So also wurde der gelbe (oder grüne) Kringel zum neuen tschechischen Kulturgut.
Die Gewohnheit
Eigentlich handelt es sich um ein starres Band mit reflektierender Oberfläche, das sich, wenn man es leicht anknickt, zu einer Spirale zusammenrollt. Auf Pressebildern der staatlichen Polizei ist zu sehen, wie das Band um den Oberarm getragen wird, was sicherlich sinnvoll ist, da es so aus allen Richtungen zu sehen ist.
Irgendwie hat sich aber eingebürgert, den Ring um den Haltegriff der Handtasche oder des Rucksacks zu rollen. Das mag auch damit zu tun haben, dass er am Arm nicht so fest sitzt wie etwa ein weiches Band mit Klettverschluss. Anders als ursprünglich vorgesehen vermindert sich dadurch zwar die reflektierende Fläche auf die Größe einer Briefmarke, aber immerhin ist dem Gesetz Genüge getan.
Bezeichnenderweise ist hierzulande funktionelle Kleidung mit reflektierenden Streifen eher selten zu sehen – nämlich nur dann, wenn es beruflich erforderlich ist. Tschechen sind wohl eher sozial als pragmatisch veranlagt, denn es zählt sehr viel, was die Anderen von einem denken könnten. Frauen kleiden sich für das Modemagazin und Männer für die Wildnis. Da bleibt den Reflektoren eben nur noch ein kleiner, unauffälliger Platz: zusammengerollt am Trageriemen.
Dies ist ein Beitrag aus der Serie Dinge des Alltags. Worum es dabei geht, ist hier zu lesen.
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