Brücken, Tunnel, Hinterhöfe: Auf einem ungewöhnlichen Radweg
Noch bevor es so richtig kalt wird, wollte ich per Fahrrad einen Weg ausprobieren, der in Prag sicher eine Besonderheit darstellt. Angelegt auf einer stillgelegten Bahnstrecke, überquert er nicht nur eine zentrale und verkehrsreiche Straße, sondern verfügt sogar sogar über einen eigenen Tunnel.
Etwas ratlos macht mich nur, dass der Weg für Radfahrer im Nirgendwo beginnt und ähnlich endet. Er könnte eigentlich einen Zugang zum Hauptbahnhof vom Stadtosten her darstellen, aber da fehlte offenbar doch das Gesamtkonzept.
Meine Fahrt beginne ich am Hauptbahnhof – nicht nur wegen seiner Relevanz, sondern auch, weil in dieser Richtung das eigentliche Stadtzentrum liegt. Der Bahnhof erweist sich verkehrstechnisch als eine Halbinsel, denn es fehlt für Fußgänger und Radfahrer eine direkte Verbindung von der Halle und den Durchgängen bis hinauf auf die Kante des oben gelegenen Stadtteils Vinohrady. Technisch wäre es durchaus denkbar, die zentrale Unterführung per Treppe oder Aufzug bis zur Španělská oder Kunětická hinauf zu verlängern. Stattdessen hat man die Wahl zwischen der Süd- und der Nordumgehung.
In einem fehlgeleiteten Pioniergeist umfahre (oder sollte ich sagen: umschiebe?) ich das Bahnhofsgelände in südlicher Richtung, also beim Nationalmuseum. Dieser Fehler soll sich böse rächen: Unterführungen, Ampelanlagen, dann ein totes Ende an der Ecke zur Legerova machen mir zu schaffen, bevor ich überhaupt die Bahnanlagen hinter mich bringe. Oben dann an der Vinohradská kann ich zumindest am Zaun die Aussicht auf Bahnhof und Stadt genießen. Der Preis für die Aussicht ist jedoch dann eine Kaskade von entgegen kommenden Einbahnstraßen. Einfacher wäre es gewesen, wenn ich ein Stück höher die Italská benützt hätte, allerdings dann ohne Blick auf die Stadt.
Zusammengefasst empfehle ich eindeutig die Nordumfahrung des Hauptbahnhofs durch den Park und unter der Wilsonova – der Magistrale – hindurch.
Gleich hinter der Eisenbahnbrücke beginnt der Radweg, und zwar auf dieser Brücke. Genau genommen beginnt der Weg nicht erst hier, sondern kommt bereits vom Wenzelsplatz her, aber ich verweigere mich vehement der Vorstellung, dass ein Fahrradweg allein aus einer bunten Linie auf der Karte und hier und dort ein paar Fahrradsymbolen auf der Straße bestehen kann. Das letzte Stück auf der Hybernská würde ich mir allein schon aus Sicherheitsgründen nicht zumuten, und für den Nervenkitzel gibt es auch schönere Umgebungen.
Auf die Brücke hinauf fahre ich zunächst über ein paar vergessene Kabel, oder ist es Bauschutt? Oben könnte man durch eine Öffnung direkt auf die Bahnanlage fahren. Es wirkt so, als hätten die Planer in der Mitte ihrer Arbeit plötzlich alle Lust verloren, oder als sei der Weg nur eine ungeliebte Pflichtübung gewesen. Mit leicht gedämpften Erwartungen setze ich meine Fahrt fort.
Sehr schnell jedoch ändert sich dieser Eindruck. Zur rechten Seite erheben sich mehrgeschössige Häuser, die dem Weg nun eine ruhigere Kulisse geben und die im Sonnenlicht sogar ganz schön aussehen.
Das städtische Leben erreicht noch einmal seinen Höhepunkt auf der grünen Stahlbrücke über die Husitská, die einen Blick hinunter auf die belebte Straße erlaubt.
- Brücke über die Husitská
- Blick auf die Husitská, nach Osten hin
- Gebäuse an der Brücke
- Unterkunft hinter der Husitská
Von hier an beginnt eine ganz besondere Atmosphäre zwischen dem Anhang des Vítkov und den Hinterhöfen. Oft handelt es sich einfach um die schmucklosen Rückseiten der Gebäude, hin und wieder jedoch wurde dieser Weg für Zugänge oder Gärten genutzt, die oft ein völlig anderes Bild bieten als zur Straßenseite hin.
An Cafés, Restaurants und Kneipen finden sich hier:
- U vystřelenýho Oka („Beim ausgeschossenen Auge“ – eine Warnung an Zechpreller?): Dieses Lokal ist berühmt für sein Pissoir, wo sich an den Wänden oberhalb der Becken gepolsterte Kopfstützen befinden. Anbei befindet sich die Družstevní kavárna.
- Ein Restaurant namens MOOD.
- Der Storm Club, der auch über einen Biergarten verfügt.
Wo der Weg von der Straße abschweift und sich von den Gebäude entfernt, wird es auf einmal merklich stiller. Ich könnte jetzt genauso gut irgendwo weit draußen außerhalb von Prag in der Natur sein. Bald ist bereits der Tunnel sichtbar.
Dadurch, dass durch den Tunnel einmal Züge fuhren, ist er ungewöhnlich geräumig. Er ist nicht eigentlich lang, aber durch seine S-förmige Krümmung wirkt er länger, da sich das andere Ende nicht gleich sehen lässt.
Hinter dem Tunnel beginnt ein eher nüchterner Teil der Strecke, und dann ist der Weg auch schon zu Ende. Das heißt, es besteht die Möglichkeit, auf der Straße zwischen Autos weiter bis zum Stadtteil Vysočany zu fahren, oder man fährt nach Žižkov hinauf, oder zur Palmovka hinab. Daneben gibt es noch die Alternative, an der Haltestelle Krejcárek das Rad in die Tram zu verfrachten.
Da das eigentlich interessante Stück nur geschätzte 3 km lang ist, bin ich vielleicht mit dem falschen Konzept an die Sache herangegangen. Handelt es sich überhaupt um einen richtigen Fahrradweg? Vielleicht ist es viel eher ein Fußweg für einen schönen Sonntagsspaziergang.