Bahnfahrt zwischen Wasser, Wald und Felsen
Die Bahnstrecke an der Moldau und Sázava (Sassau) entlang gehört sicher zu den schönsten, die ich bislang im Gebiet von Prag erlebt habe. Sie erinnert zum Teil an den „Prager Semmering“, der sehenswerte Teil beschränkt sich jedoch nicht nur auf eine kurze Strecke.
Die Straßenbahn bringt mich zunächst zum Bahnhof Prag-Vršovice, im südlichen Zentrum. Zum Bahnhof sind es von der Haltestelle nur wenige Schritte. Das Gebäude im typischen k.u.k.-Design ist kaum zu verfehlen.
Dort trifft bald ein mehrteiliger, knallgelber Schienenbus ein, der sich bereits in der Sonne des Junitages gehörig aufgeheizt hat. Mittags sollen es bis zu 32°C werden. Alle Fenster sind geöffnet, was zumindest während der Fahrt für Frischluft sorgt. Die Seite mit der besten Aussicht befindet sich allerdings auf der Sonnenseite.
Zunächst fahren wir durch eine Mulde, vorbei an Stadtautobahnen und Gewerbegebieten. An einer Stelle wird der Zug mit den Passagieren plötzlich ruckartig hin und her gestoßen – offenbar sind die Schienen hier nicht besonders gerade. Doch soll die Fahrt später wesentlich ruhiger werden.
Wir bewegen uns in einer Kurve nach Westen, bis wir auf die Moldau treffen. Zunächst geht es stromaufwärts an dem Ufer entlang – in einer Touristen kaum bekannten Region. Wir haben hier die Umgehungsstraßen, Lagerhallen und Bürogebäude hinter uns gelassen. Ein Golfplatz, ein Abenteuerspielplatz und Radwanderwege ziehen vorüber, gefolgt von einer letzten Autobahn. Jetzt liegt Prag hinter uns. Zbraslav erscheint kurz auf einer Anhöhe auf der anderen Seite.
Ein älterer Mann jenseits des Ganges, der die Strecke zu kennen scheint, holt allmählich sein Briefmarkenalbum aus der Tasche und beginnt, die Briefmarken wieder an ihren Platz zurück zu schieben, die ihm zuvor durcheinander geraten sind, um sie dann mit einer Lupe zu betrachtet.
Hinter der Staustufe bei Vrané verlaufen die Gleise nur noch ein bis zwei Meter über dem glitzernden Wasser des Stausees. Bei dem Anblick hätte ich kaum vermutet, dass es sich um die selbe Moldau handelt, die so geschäftig die Fundamente der Karlsbrücke umspült. Dann folgt Davle mit seiner charakteristischen Bogenbrücke.
Hinter Davle dann biegt die Strecke östlich zur Sázava (Sassau) ab, die hier in die Moldau mündet, und folgt ihrem Verlauf flussaufwärts. Die Strecke erhebt sich zunehmend über das Tal und windet sich zwischen Felsen und Wäldern hindurch in die Höhe.
Tunnel reiht sich an Tunnel, und oft passiert der Zug in vermindertem Tempo durch enge Felsdurchstiche. Pikovice, Luka pod Medníkem – alles Orte, die man sich für spätere Wanderungen merken sollte. Zwischen den Bäumen erhasche ich hin und wieder einen Blick in das wild-romantische Tal hinab.
- Bahnhof Davle
- Bahnhof Krhanice
- Bahnhof Krhanice
Dann, oberhalb der Ortschaft Žampach, überquert unser Zug ein Viadukt. Das ist gewissermaßen der Höhepunkt, das I-Tüpfelchen, das die Ingenieure hier mit bestem Blick auf das Tal gesetzt haben. Glücklicherweise waren sie schlau genug, die Brücke in einer Kurve zu bauen, so dass man sie auch vom Zug aus bewundern kann.
Diese Brücke ist die zweitgrößte steinerne Eisenbahnbrücke in Mitteleuropa. Mit 41,7 m Höhe ist sie nur um ein paar Meter niedriger als die Brücke in Prag-Nusle, und die Länge beträgt 180 m.
Viele Haltepunkte wirken heruntergekommen, obwohl es hier Tourismus gibt. Neben Steinbrüchen hatte es in der Gegend früher auch einige Bergwerke1 gegeben.
Mich überrascht der Name eines Gasthauses: „Bei Adenauer“. „Unser“ Adenauer? In Böhmen?
An vielen Orten ist sichtbar die Zeit stehen geblieben, und in Jílové steht schließlich der ganze Zug: Wir haben 20 Minuten Aufenthalt, in sengender Hitze, und hörbar untermalt vom Dröhnen der Dieselmotoren. Während wir auf den Gegenzug warten, geht der Lokführer den Zug entlang und kontrolliert die Technik.
- Warten auf ein, nein zwei Gegenzüge im Bahnhof Jílové
- Motorencheck während der 20-minütigen Pause in Jílové
- Bahnhof Jílové: Der Gegenzug ist eingetroffen!
Nach dem Viadukt wird die Landschaft zunehmend flacher, gemäßigter. In der Ferne nur sieht man nur die typische böhmische Mischung aus Feldern, Wiesen und bewaldeten Kuppen. Zwischen den Bäumen stehen allenthalben Hütten und Wochenendhäuschen, die Chatas, ohne die es die Tschechen nie so lange hinter dem eisernen Vorhang ausgehalten hätten und die heute noch jedes Wochenende so zuverlässig wie Ebbe und Flut die Städter aufs Land hinaus locken. Die Varianten reichen von der vermoosten Bretterbude bis hin zu exklusiven Chalets. Irgendwo sehe ich sogar ein leeres Swimmingpool, das blau und verloren zwischen Wald und Felsen von besseren Zeiten träumt.
Nach ein paar Fabrikhallen, in denen früher Aluminiumteile für das tschechische Motorrad JAWA gegossen wurden, erreichen wir Týnec, oder Teinitz. Der Ort liegt an einer ähnlichen Flussschleife wie Prag an der Moldau, allerdings entspricht die Größe eher einem Dorf.
Wer hier nicht wohnt, der steigt aus, um zu wandern, zu schwimmen oder sich ein Kanu zu leihen. Zur Geschichte von Teinitz gehört leider auch die Vertreibung der hiesigen Bevölkerung, um einem Truppenübungsplatz der SS Platz zu machen.
- Týnec nad Sázavou (Teinitz)
- Bahnhof in Týnec/Teinitz
- Bahnhof in Týnec/Teinitz
- Altmodischer Gemischtwarenladen
Die Besichtigung nimmt nicht viel Zeit in Anspruch: Das Wesentliche befindet sich in der Burg und im dortigen Museum: ein bisschen Historisches über die Keramikmanufaktur, die amüsante Ausstellung eines einfallsreichen Buchbinders, ein Stockwerk für Fledermäuse (Großes Mausohr), aber keine Erwähnung von JAWA2.
- Burg – Kapelle und Turm
- Burggelände: Rotunde, Turm und Museum
- Die Rotunde ist jetzt eine hussitische Kirche
- Allein im Turm der Burg
- Im Turm der Burg
- Riesenfledermäuse (Sie durften mit Blitzlicht fotografiert werden, ansonsten ist es dort halbdunkel.)
- Blick auf die Kirche des Hl. Simon und Judas und das Haus „U Micků“
- Blick vom Turm in Richtung Industriegelände und Moldau
Gerade als ich mit der Besichtigung fertig bin, trifft eine Schulklasse ein. Die Mädchen bekommen kurzerhand die Toiletten im Museum zugeteilt, während die Jungen hinter das Gemäuer geschickt werden.
Um die Burg herum finden sich viele malerische Winkel. Die Häuser wirken oft rissig und brüchig, sind aber liebevoll mit Blumen verziert. Sehenswert sind auch das Bürgerhaus U Micků und der Friedhof um die Kirche des Hl. Simon und Judas. In der früheren Keramikfabrik befindet sich heute ein Hotel mit Restaurant und Café im Erdgeschoss.
- Haus „U Micků“
- Kirche „sv. Šimona a Judy“
Insgesamt nimmt der Ausflug etwa einen halben Tag in Anspruch. Mit etwas mehr Zeit ließe sich gut noch eine Wanderung einplanen, vielleicht irgendwo auf halber Strecke. Denkbar wäre etwa, sich das Viadukt von unten anzusehen, bei Kammený Přívoz zum Fluss hinab zu gehen, wo es einige Restaurants gibt, oder auf der gegenüber liegenden Seite zu wandern.3